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Rekonstruktion eines mittelalterlichen Pestarztes
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Michael Setzpfandt

Seuchen in Berlin

Von Pest und Cholera bis zum Siegeszug der Hygiene

Das Corona-Virus war nicht die erste Krankheit, die Berlin fest im Griff hatte. Schauen Sie deshalb einmal zurück auf vergangene Epidemien in der Stadtgeschichte, auf ihre Folgen und auf die Erkenntnisse, die daraus erwuchsen.

Seit Jahrhunderten schon ist Berlin im Frieden wie im Krieg immer wieder von Epidemien heimgesucht worden. Ihre Auswirkungen waren oft verheerend. Doch sie gaben auch wichtige Impulse für neue medizinische und kulturelle Entwicklungen, von denen wir noch heute profitieren – und die untrennbar mit den Namen berühmter Persönlichkeiten verbunden sind. 

Die Pest und Leonhard Thurneisser
Faszination und Schaudern erfüllt im Märkischen Museum Menschen jeden Alters, wenn sie die lebensgroße Nachbildung eines mittelalterlichen Pestarztes betrachten. Die in kunstvoller Handarbeit gefertigte, pechschwarze Figur aus Glasfaserkunstoff, gewachstem Leinen und Leder ist seit Jahren ein Highlight-Objekt und Publikumsmagnet in der Dauerausstellung BerlinZEIT. An ihr wird anschaulich, wie sich behandelnde Ärzte während der Berlin-Cöllner Pest-Epidemien im 16. und 17. Jahrhundert vor der Ansteckung zu schützen versuchten.

Die Schutzkleidung des Mittelalters
In Unkenntnis der Infektionswege vermuteten die Menschen jener Zeit eine Übertragung der Krankheit durch ansteckende Ausdünstungen, den „Pesthauch“. Daher war die Schutzkleidung der Ärzte so luftdicht wie möglich, Oberflächen und Nähte waren durch Wachs versiegelt und das Gesicht wurde durch eine Haube geschützt, deren charakteristischer Schnabel mit Essigschwämmen und Kräutern gefüllt war.

Der Duft der Essenzen, wie Wacholder, Amber, Zitronenmelisse, Grüne Minze, Kampfer, Gewürznelken, Myrrhe, Rosen oder Styrax, würde, so nahm man an, die Atemluft des Maskenträgers vom „Pesthauch“ reinigen. Sogar die Augen waren durch eine glasähnliche Scheibe aus Marienglas (Selenit) geschützt, einer durchsichtigen Gipsart, die dem Arzt Schutz und klare Sicht bot. Die krähenhafte Gestalt des im Museum ausgestellten Pestarztes trägt außerdem einen Stock in der behandschuhten Hand, vermutlich um aus sicherem Abstand auf kranke Menschen und Körperteile deuten zu können.

Verhaltensregeln
Der Infektionsweg des Pestbakteriums über den Pestfloh, der von Ratten auf den Menschen überging, war damals unbekannt. Die unhygienischen Zustände in den Städten verstärkten das Ansteckungsrisiko zudem dramatisch. Die Pest wurde jedoch nicht nur über den Rattenfloh übertragen, sondern als Lungenpest auch über eine Tröpfcheninfektion, die – wie das aktuelle Corona-Virus – von Mensch zu Mensch übertragen wurde.

Leonhard Thurneisser, um 1580 (unbekannter Künstler, Holzschnitt auf Papier
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Michael Setzpfandt
In Berlin reagierte man auf die Seuche mit mal mehr, mal weniger sinnvollen Verhaltensvorschriften. Einige frühe Maßnahmen zur Eindämmung der Ansteckung sind jedoch heute wieder aktuell. Der kurfürstliche Leibarzt Leonhard Thurneisser, der auf dem Gelände des Grauen Klosters auch eine Druckerei betrieb, informierte die Menschen in Berlin-Cölln 1576 per Plakat darüber, wie die von ihnen als „Strafe Gottes“ gedeutete Pest einzudämmen sei.

Der hundertfach an öffentlichen Plätzen angebrachte Aufruf forderte die Bevölkerung zu besonderen Maßnahmen auf, um die Verbreitung der Seuche einzudämmen. Dazu gehörte unter anderem die Einnahme vorbeugender „Medikamente“ sowie das regelmäßige Baden – auch der Haus- und Nutztiere – in der Spree. Die Berlin-Cöllner Obrigkeit verbot zudem öffentliche Zusammenkünfte, die Speisung in öffentlichen Küchen, Straßen wurden gesperrt, Bier- und Weinkeller geschlossen. Besonders letztere Vorschrift wurde von der Bevölkerung heimlich umgangen – wohl mit verheerenden Folgen.

Spuren der Pest
Künstlerisch wurde die Hilflosigkeit, die die Menschen angesichts der verheerenden Epidemien mit tausenden von Toten empfanden, in dem um 1470 entstandenen Totentanz-Fresko in der Berliner Marienkirche verarbeitet. Die überwältigende Größe des Werkes von über 22 Metern Länge und 2 Metern Höhe spricht für sich.

Kopie des Totentanzes aus der Marienkirche (Ausschnitt), Berlin, 1860 (Aquarell von Rudolf Schick)
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Oliver Ziebe

Im 17. Jahrhundert forderten der Dreißigjährige Krieg und nachfolgende Seuchen erneut zahllose Opfer. Als der Theologe und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt im Kriegsjahr 1643 nach Berlin kam, um schließlich Pfarrer an der Nikolaikirche zu werden waren viele Menschen in Berlin durch Krieg, Pest und weitere Infektionskrankheiten dahingerafft worden. So soll die Stadt bei Kriegsende 1648 nur noch die Hälfte ihrer einst 10.000 Einwohnerinnen und Einwohner gezählt haben. Paul Gerhardts tröstliche Lieder aus schwerer Zeit sind heute allgemeines Kulturgut. Sie zeugen davon, dass die Stadt schon manche Katastrophen überstanden hat und können so gerade in der bevorstehenden Osterzeit Trost und Kraft spenden.

Zu den heute noch sichtbaren Spuren der Pest zählt nicht zuletzt die Berliner Charité, an der zurzeit mit Hochdruck Viren erforscht und Kranke versorgt werden: Die heute weltberühmte Klinik geht auf ein 1708 vom preußischen König Friedrich I. gegründetes Pesthaus zurück.

Die Cholera und Robert Koch
Nicht nur die Pest hinterließ in Berlins Geschichte ihre Spuren. Ab 1831 wurde Berlin über Jahrzehnte immer wieder von heftigen Cholera-Epidemien heimgesucht: Allein von September 1831 bis Februar 1832 forderte die bakterielle Durchfallerkrankung etwa 1400 Tote. Auch hier vermutete man eine Übertragung durch Ausdünstungen (Miasmen), ähnlich wie bei der Pest. So wurde versucht, die Ausbreitung der Epidemie durch Isolation erkrankter Menschen und „luftreinigendes“ Räucherwerk verschiedenster Art einzudämmen. Und wie heute bereiteten Angst und Unwissenheit den Nährboden für allerlei Verschwörungstheorien – vom Misstrauen gegenüber Ärzten über Gerüchte rund um wirtschaftliche Interessen bis hin zu antisemitischen Verleumdungen angeblicher Brunnenvergiftungen.

Dann machte 1876 der Berliner Bakteriologe Robert Koch eine Entdeckung, die auch dem britischen Chirurgen und Armenarzt John Snow in England gelungen war: dass der Cholera-Erreger in erster Linie durch verunreinigtes Trinkwasser und mangelnde Hygiene übertragen wird und durch einfache Maßnahmen, wie das Abkochen von Wasser und gründliches Händewaschen, einzudämmen ist. Bis heute trägt die Bundesoberbehörde für Infektionskrankheiten und nicht übertragbare Krankheiten zu Ehren des Berliner Forschers den Namen Robert-Koch-Institut und ruft uns täglich ins Gedächtnis, zu welchen Leistungen die Medizin in der Lage war und heute noch ist.
Robert Koch im Laboratorium, Berlin, 1891 (Kurt Stoeving, Stahlstich auf Papier)
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Michael Setzpfandt

Die Hygiene-Geschichte und Rudolf Virchow
Viele Krankheiten, die von der Vergangenheit bis in die Gegenwart viele Tote gekostet haben, lassen sich durch einfache Vorsichtsmaßnahmen einschränken oder vermeiden. Die schlichte Notwendigkeit des Händewaschens wird heute bereits Kindern vermittelt und die gesundheitlichen Gefahren von unreinem Trinkwasser, fehlenden Abwassersystemen oder schimmelnden Wohnungen sind bekannt. Doch all diese Erkenntnisse sind Errungenschaften, für die in der Neuzeit geforscht und gekämpft werden musste.

Dunkle Kellerwohnung in der Rheinsberger Straße, Berlin, 1904
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Heinrich Lichte & Co.
Im späten 19. Jahrhundert herrschte aufgrund der rasanten Industrialisierung in Berlin wie auch in den europäischen Großstädten zunehmend Überbevölkerung und Verelendung. Der Berliner Sozialhygieniker Rudolf Virchow – im Übrigen ein Mitbegründer des Märkischen Museums – war einer der Ersten, der die Lebensbedingungen der Berliner Arbeiterfamilien untersuchte. Er war es, der die verschachtelten, finsteren Hinterhöfe der Mietskasernen und winzigen, überbelegten Wohnungen ohne angemessene Sanitäranlagen mit dem schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung in Verbindung brachte, die unter Mangel- und Infektionskrankheiten wie Rachitis oder Tuberkulose litt. Unter anderem setzte er sich vehement für den Ausbau der Kanalisation und eine zentrale Trinkwasserversorgung in Berlin ein.
Rudolf Virchows Forschungen und politischer Einsatz waren maßgeblich für die heute selbstverständliche gesundheitliche Grundversorgung der Arbeiterinnen und Arbeiter in kommunalen Krankenhäusern. Noch heute trägt das Virchow-Klinikum der Berliner Charité seinen Namen. Auch die Schaffung öffentlicher Spielplätze, auf denen sich Kinder an Luft und Licht bewegen können, ist ihm mit zu verdanken. Nicht zuletzt die Berliner Schrebergärten, die heute zunehmend Bauprojekten weichen müssen, entstanden im Zuge einer umfassenden, sozialhygienisch gedachten Gesundheitsvorsorge. Ihr Ziel: Luft, Licht, Bewegung und gesunde Ernährung für alle. Sie sollten nicht nur die Gesundheit der Menschen stärken, sondern auch einen Beitrag zur  wirtschaftlichen Sicherung des ärmeren Teils der Bevölkerung leisten. In der Folge entstand in der städtischen Gesellschaft eine große Bandbreite von Sozial- und Gesundheitsbewegungen, deren Arbeit für Gesundheit und Erholung bis heute nachwirkt.
Dr. Rudolf Virchow, Berlin, o. J. (vor 1877)
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Hermann Günther

Und heute?
Trotz unvergleichlich besserer medizinischer Versorgung und organisatorischer Möglichkeiten als in den vergangenen Jahrhunderten hält Berlin angesichts der Corona-Krise den Atem an. Doch damals wie heute können neue medizinische Erkenntnisse, gepaart mit neuen Einsichten in psychosoziale, politische und kulturelle Zusammenhänge dazu beitragen, gestärkt aus der Krise hervorzugehen. Dies lehrt die Geschichte.