/ 
Der Schauspieler Albert Steinrück, Gemälde von Karl Hofer, 1923 (Ausschnitt) | Öl auf Leinwand
© Stadtmuseum Berlin / VG Bild-Kunst | Reproduktion: Michael Setzpfandt

Albert Steinrück

Albert Steinrück (1872 –1929) zählt zu den außergewöhnlichsten Schauspieler:innen des 20. Jahrhunderts. Kraft seiner Kunst und seiner Persönlichkeit wurde er zu einem Star seiner Zeit – nicht nur am Theater, sondern auch im neuen Medium Film.

von Bärbel Reißmann
Der Dramaturg, Regisseur und Theaterkritiker Herbert Ihering schrieb über ihn:
„Selten hat es einen Mann und einen Künstler gegeben, dessen Name so vollkommen seine Gestalt ausdrückte. Albert Steinrück stand, ein unverrückbarer Fels, auf der Bühne: Männlich, kantig und verschlossen.“

Am 20. Mai 1872 wird Albert Steinrück in Wetterburg geboren, einem Dorf im damals von Preußen verwalteten, heute zu Hessen gehörenden Fürstentum Waldeck. Bei seinem Vater, einem Kaufmann, stoßen seine frühen künstlerischen Neigungen auf wenig Gegenliebe. Albert will Maler werden, und so bewirbt er sich mit achtzehn Jahren ohne Erlaubnis der Eltern zum Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf, wo er 1890 aufgenommen wird. Doch schon nach einem Jahr gibt er das Kunststudium auf und versucht, als Dekorationsmaler am Theater und als Schauspieler Geld zu verdienen. 1927 erzählt er rückblickend im Berliner Tageblatt: „Da ging ich aufs Theater, ohne jedes Interesse. Mein Interesse für Menschengestaltung ist mit den Jahren beträchtlich gestiegen – der Drang zu malen ist mir immer geblieben.“

Trotz des ungewöhnlichen Beginns seiner Karriere schafft es der Autodidakt innerhalb von zehn Jahren, nach Berlin und von dort auf die großen deutschen Bühnen zu gelangen. Ab 1901 spielt Albert Steinrück am Schiller-Theater Berlin. Seine Bühnengestalten in den Dramen von Henrik Ibsen (1828 – 1906), August Strindberg (1849 – 1912) und Gerhart Hauptmann (1862 – 1946) hinterlassen bei den Zuschauer:innen einen starken Eindruck. Theaterkritiker Julius Bab (1880 – 1955) erinnert sich: „[…] In seiner Berliner Schillertheaterzeit hat Steinrück einen Pfarrer Rosmer von erlesenster seelischer Zartheit, einen Hauptmannschen Kollegen Crampton im Schluchzen und Lachen gleich hinreißend gespielt […]“  

Ein früher Beleg für Albert Steinrücks Bühnenschaffen: Programmblatt zu „Frühlings Erwachen“ von Frank Wedekind, Regie Max Reinhardt, Kammerspiele des Deutschen Theaters, 1906
© Stadtmuseum Berlin
Der Regiestar und Theaterleiter Max Reinhardt (1873 – 1943) wird auf das Talent aufmerksam und engagiert Albert Steinrück 1904 ans Neue Theater am Schiffbauerdamm (das heutige Berliner Ensemble). Von 1905 bis 1908 gehört Steinrück dann nicht nur zum legendären Ensemble des Deutschen Theaters in der Schumannstraße, sondern er unterrichtet auch an der Schule des Neuen Theaters Schauspiel, Regie und Rhetorik. Als Dr. Schön in „Erdgeist“ und Vater Gabor in „Frühlings Erwachen“ steht er in den sensationellen Erfolgen der Dramen von Frank Wedekind (1864 – 1918) auf der Bühne und gilt als dessen bester Interpret.

Beim Publikum beliebt, gehört Albert Steinrück vor dem Ersten Weltkrieg zu den Theaterkünstler:innen, die nicht nur zahlreiche Rollen in Klassikerinszenierungen verkörperten, sondern durch ihr Talent auch die neuen Autor:innen auf den deutschen Bühnen durchsetzten. Er brilliert als Edgar neben Tilla Durieux (1880 – 1971) in Strindbergs „Totentanz“ und verkörperte 1913 den Woyzeck in der Uraufführung von Georg Büchners (1813 – 1837) gleichnamigem Drama. In dieser Rolle überzeugt er auch das Publikum im Berliner Lessing-Theater, und als Henry Higgins wird er in der Uraufführung von George Bernard Shaws (1856 – 1950) „Pygmalion“ gefeiert. „Ganze Erfüllung bot der famose Steinrück. Mit breit gepinselter Gefühlsrauheit gab er den kratzbürstigen Professor…“ schwärmt  der später im Ghetto von Łódź ums Leben gekommene Theaterkritiker Emil Faktor (1876 – 1942) 1913 im Berliner Börsen-Courier.

Zwischen Bühne und Leinwand

Seine erste Ehefrau, die Schauspielerin Elisabeth Gussmann (1885 – 1920), eine Schwester der Ehefrau des Schriftstellers Arthur Schnitzler (1862 – 1931), lernt Steinrück am Schiller-Theater kennen. Mit seinem Schwager verbindet ihn zeitlebens eine enge Freundschaft, die auch nach dem frühen Tod Elisabeths hält. Als sich Steinrück in die 25 Jahre jüngere Lissi Sohn-Rethel  (1897 – 1993) verliebt, notiert Arthur Schnitzler in sein Tagebuch: „Lizie, die neue Gattin Alberts; sehr jung und anmutig. Sie spricht von Alberts ewiger Jugend“.
Elisabeth Gussmann, erste Ehefrau von Albert Steinrück. Rollenportrait im Gedenkbüchlein des Schiller-Theaters, 1903
© Stadtmuseum Berlin

Nach Jahren am Hof- und Residenztheater München kehrt Steinrück 1921 nach Berlin zurück und lässt sich mit Lissi im Stadtteil Zehlendorf nieder. Ohne feste vertragliche Bindung spielt er an verschiedenen Berliner Bühnen: der Tribüne, dem Deutschen Theater, dem Lessing-Theater, der Volksbühne und dem Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Dazu kommen häufige Gastspiele in Zürich, Hamburg, Frankfurt am Main und Wien sowie zunehmend auch Filmaufnahmen. In kurzer Zeit macht sich Steinrück einen Namen als gefragter Stummfilm-Protagonist. Ob als Rabbi Löw in „Der Golem, wie er in die Welt kam“ oder als Friedrich Wilhelm der I. in „Fridericus Rex“: Seine mimische Kraft und Präsenz überzeugt in mehr als 90 Filmen.

Steinrück (rechts) als Rabbi Löw in dem Stummfilmklassiker „Der Golem, wie er in die Welt kam“. Aus der Zeitschrift Der Filmspiegel, Nr. 14, 1956
© Stadtmuseum Berlin
Kritisch betrachtet Steinrück 1923 die Bedingungen der Schauspielerei in einem Zeitungsartikel: „Die Arbeit des Theaters, wie sie heute auf Proben geleistet wird und in den Vorstellungen ihren Ausdruck findet, ist natürlich von der Arbeit, wie wir sie in Berlin vor zehn Jahren erlebten, weit entfernt. Der Film hindert die Intensität der Theaterarbeit, weil der Schauspieler eben nicht mehr mit seinen ganzen Kräften und Interessen dem Theater dienen kann. Ich für meine Person pflege es so zu halten, dass ich, wenn ich einen Film habe, mich in dieser Zeit völlig dem Film widme, und wenn ich Theater spiele, mich durch den Film nicht irritieren lasse. Bei einer Verteilung der Arbeit auf der Bühne und Film zu gleicher Zeit kommen beide zu Schaden.“

Es ist ein Schauspielerleben der Extreme, zwischen Theater- und Filmarbeit, mit langen Theaterproben und Gastspielen, unterbrochen von nächtlichen Streifzügen durch Weinstuben, von Trinkgelagen und Gesprächen über die Kunst und das Leben. Den Ausgleich zu diesem ruhelosen Leben als Bohemien liefern ihm Malerei, Reisen, Wanderungen und die Zeit mit der wachsenden Familie.

Zunächst im Schauspielhaus und nach 1925 vor allem in der Volksbühne am Bülowplatz. Gemeinsam mit George arbeitet er auch bei den Heidelberger Festspielen im Sommer dieses Jahres. Die intensive Zusammenarbeit mit dem Regisseur Erwin Piscator (1893 – 1966) findet in der Uraufführung von Ehm Welks (1884 – 1966) „Gewitter über Gottland“ ihren Höhepunkt. Danach ist er wieder in der Schumannstraße im Deutschen Theater und den Kammerspielen in mehreren Inszenierungen zu sehen. Eine seiner letzten Rollen ist der Coste in Georg Kaisers (1878 – 1945) „Oktobertag“. In dieser Rolle wird er für die Galerie des Deutschen Theaters portraitiert.

Sternstunde des Theaters

Kurz vor der Premiere seiner letzten Filme „Asphalt“ und „Fräulein Else“ mit Elisabeth Bergner (1897 – 1986) stirbt Steinrück am 11. Februar 1929 völlig unerwartet. „Bitte einen Moment für Albert Steinrück“, fordert Alexander Granach (1890 – 1945) nach dem plötzlichen Tod seines berühmten Kollegen. Auf Initiative seines Freundes Heinrich George findet am 28. März 1929 eine Gedächtnisfeier für Albert Steinrück im Schauspielhaus statt. Spontan organisiert George für die mittellos zurückgebliebene Familie eine Benefizaufführung von bisher nicht gekanntem Glanz. Bei dem gesellschaftlichen Ereignis stehen nahezu alle bekannten Schauspieler:innen Berlins in einer einmaligen Nachtvorstellung auf der Bühne am Gendarmenmarkt.

Nachdem das festlich gekleidete Publikum um 23 Uhr die Plätze eingenommen hat, eröffnet der Schriftsteller Heinrich Mann den Abend mit Gedenkworten an seinen Freund Steinrück. Dann hebt sich der Vorhang zu Leopold Jessners Inszenierung des „Marquis von Keith“. Werner Krauss als Konsul Casimir steht neben Carola Neher als dessen Sohn Hermann, Tilla Durieux als Gräfin Werdenfels und Heinrich George als Marquis auf der Bühne. Rosa Valetti, Käthe Dorsch, Fritz Kortner, Rudolf Forster, Veidt Harlan und Kurt Gerron spielen mit 26 weiteren hochkarätigen Akteur:innen in den Nebenrollen. 

Die Schauspieler:innen vor einer Probe zu „Marquis von Keith“ zum Gedächtnis Albert Steinrücks, Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, März 1929
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Freiherr Wolff von Gudenberg
Wer es nur irgendwie einrichten kann, will an dieser Aufführung mitwirken, und so werden zahlreiche Statisten hinzugefügt. Je größer die Stars, je kleiner die Rolle und je weiter entfernt von der Haupthandlung, umso mehr improvisieren die Schauspielerinnen und Schauspieler. Unter Beifallsstürmen greift Max Pallenberg zum Saxophon der Weintraub Synkopaters, Mady Christians und Maria Bard tanzen Charleston und Hans Albers steppt auf dem Tisch. Elisabeth Bergner als Laufbursche Sascha löst tosende Begeisterung aus, als sie die elfengleiche Fritzi Massary in der Rolle des stummen Dienstmädchens einen „Trampel“ schimpft.

Mit dem Einzug der Gäste im dritten Akt, bei dem hinter Else Heims und Paul Wegener die gesamte schauspielerische Prominenz über die Bühne flaniert, ist der Höhepunkt erreicht. In den Bühnendekorationen des Salons sind zwei Steinrück-Portraits von Karl Hofer und Alfred Sohn-Rethel angebracht, und die Gemälde erwecken den Eindruck, als sei der zu Ehrende an diesem unvergesslichen Abend selbst zugegen. Im Namen der Beteiligten dankt der greise Arthur Kraußneck zwischen Marlene Dietrich, Asta Nielsen, Henny Porten und Tilly Wedekind dem Publikum für die Ehrung des toten Kollegen.

Unterstützt durch einen Ehrenausschuss aus 34 Persönlichkeiten der Berliner Kultur – darunter Albert Einstein, Ludwig Katzenellenbogen, Max Liebermann, Max Reinhardt, Bruno Walter und Reichstagspräsident Paul Löbe –, ist es den über 100 Künstler:innen gemeinsam gelungen, mehr als 45.000 Reichsmark durch den Kartenverkauf zu erzielen und dabei eine „Sternstunde des deutschen Theaters“ zu schaffen. Zugleich markiert der Abend den Abschied von einer Theater-Ära. Nie wieder finden sich so viele bekannte Schauspieler auf einer Bühne zusammen. Nur wenige Jahre später trennen sich die Wege der Künstler:innen endgültig. Während viele nach der Machtergreifung Hitlers fliehen müssen, setzen andere ihre Karriere in den nationalsozialistisch ausgerichteten Theatern fort.

Steinrücks Ehrengrab auf dem Friedhof Zehlendorf, Mai 2016
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Bärbel Reißmann

Erinnerung an einen Großen

Heute, fast achtzig Jahre nach seinem Tod, ist Albert Steinrück im öffentlichen Bewusstsein nicht mehr so verankert wie etwa sein Schauspielerkollege Heinrich George. Doch sein Andenken wird bewahrt. Die Stadt Berlin hat mit dem Steinrückweg in Wilmersdorf nicht nur eine Straße nach dem Schauspieler benannt, sondern pflegt auch seine Ehrengrabstelle auf dem Friedhof Zehlendorf. Dort sind die beiden großen Schauspieler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Heinrich George und Albert Steinrück, wieder vereint.
Schenkung

Mit „Das Leben ist eine Rutschbahn…“ liegt eine eine umfassende Biografie über Albert Steinrück vor, dazu eine Beschreibung der Gedächtnisfeier unter dem Titel „Eine Sternstunde des Deutschen Theaters“ – beide geschrieben von der Theaterwissenschaftlerin Margret Heymann. Das Stadtmuseum Berlin erinnerte im Rahmen der Sonderausstellung „Tanz auf dem Vulkan – Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste“ (2015/16) an die Gedenkfeier zu Steinrücks Ehren von 1929.

Die Gemälde, die im Rahmen dieser Abschiedsgala auf der Theaterbühne zu sehen waren, sind heute Teil der Sammlung des Stadtmuseums Berlin. Anlässlich der Schenkung des Nachlasses von Albert Steinrück an das Stadtmuseum Berlin fand am 4. Mai 2016 eine Lesung im Deutschen Theater statt.