/ 
Das Theodor-Fontane-Denkmal in Neuruppin (Detail), 1978
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Archiv Rolf Goetze

Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Entstehung und Geschichte von Fontanes Reisebeschreibungen

„Was diesen Mann uns unvergleichlich macht, das ist – wie bei Goethe – die Luft, in der er lebte und die er atmete.“ 
(Kurt Tucholsky, 1919)


Theodor Fontane gilt heute als ein großer europäischer Schriftsteller, der mit Werken wie Effi Briest Weltliteratur schrieb. Er gehört zu den meist gelesenen deutschsprachigen Autoren der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besondere Aufmerksamkeit fanden und finden neben seinen Balladen seine Berliner Gesellschaftsromane und die Briefeditionen. Fast alle Erzählwerke sind verfilmt worden, einige sogar mehrfach, verschiedene wurden dramatisiert und stehen auf den Spielplänen zahlreicher Theater. Doch für viele ist der Name Theodor Fontane vor allem mit den Wanderungen durch die Mark Brandenburgverbunden.

„Erst die Fremde lehrt uns, was wir an der Heimat besitzen. Das hab ich an mir selber erfahren, und die ersten Anregungen zu diesen ‚Wanderungen durch die Mark‘ sind mir auf Streifereien in der Fremde gekommen. Die Anregungen wurden Wunsch, der Wunsch wurde Entschluß“
(Theodor Fontane in: Die Grafschaft Ruppin, Vorwort zur 1. Auflage, November 1861)

Zeit seines Lebens reiste Theodor Fontane durch die damals so genannte „Mark“. Seine Reiseberichte veröffentlichte er kontinuierlich. 1862 erschien der erste Band unter dem Titel Wanderungen durch die Mark Brandenburg (später Die Grafschaft Ruppin). Ab 1863 folgten Das Oderland, Barnim-Lebus, 1872 Havelland und 1881 Spreeland. Sie alle kamen bis 1892 regelmäßig in verschiedenen Zeitungen und in mehreren Auflagen als Buchausgaben, jeweils neu bearbeitet, ergänzt und korrigiert auf den Markt.

Banderole zum Manuskript „Wanderungen durch die Mark Brandenburg III. Havelland“
© Stadtmuseum Berlin
Bereits im August 1856, während eines England-Aufenthaltes, unternahm Fontane eine Tour in die Midland Counties. Nach London zurückgekehrt, vermerkte er in seinem Tagebuch: „Einen Plan gemacht. ‚Die Marken, ihre Männer u. ihre Geschichte. Um Vaterlands- u. künftiger Dichtung willen gesammelt u. herausgegeben von Th. Fontane.’ – Die Dinge selbst geb ich alphabetisch. Wenn ich noch dazu komme das Buch zu schreiben, so hab’ ich nicht umsonst gelebt u. kann meine Gebeine ruhig schlafen legen.“

Recherche-Reisen
Gleich nach der Rückkehr aus England nahm Fontane seine Recherche-Reisen in die Mark auf. Von Mai bis August 1859 erschien in der Vossischen Zeitung der Vorabdruck von zehn Aufsätzen aus Jenseits des Tweed unter dem Titel Bilder und Briefe aus Schottland. Im Kapitel Von Edinburgh bis Stirling thematisierte Fontane dabei auch die Havel und verwies auf Städte, Schlösser und Persönlichkeiten aus der Mark Brandenburg. Sein erster Wanderungen-Aufsatz Ein Stündchen vor dem Potsdamer Tor war am 29. Juni 1859 in der Vossin zu lesen. In der Kreuzzeitung erschienen seine Berichte ab dem 23. Oktober unter dem Titel Märkische Bilder.

Reiseberichte waren im 19. Jahrhundert bei Autoren und beim Publikum ein beliebtes Genre, doch die Mark Brandenburg war bis dahin noch nicht ins Interesse eines Schriftstellers gerückt. Im Juli 1860 schrieb Fontane seinem Schriftstellerkollegen und Freund Theodor Storm: „Ich beschäftige mich jetzt ausschließlich mit dem Studium unsrer Mark und habe zwei darauf Bezug habende Arbeiten vor, die mich ohngefähr zehn Jahre kosten und zwanzig Bände füllen werden. So bricht jeder verschieden in den Tempel des Ruhms ein, um darin zu verweilen, bis man durch andre rausgeschmissen wird, Sie wie ein Sonnenstrahl oder eine Toledoklinge, ich wie ein Frachtwagen. Eines schickt sich nicht für alle.“

Liebe zu Land und Leuten
Bis ins hohe Alter besuchte Fontane allein oder mit interessierten Freunden die Mark Brandenburg. Jede seiner mehrtägigen Reisen bereitete er gründlich vor. Unterwegs war er zu Fuß, mit der Kutsche oder mit der Eisenbahn. Erste Eindrücke und gesammelte Informationen notierte Fontane in seinen Notizbüchern und er skizzierte Ansichten oder Grundrisse von Gebäuden, die ihn interessierten. Der „Tunnel“-Freund und Kunsthistoriker Wilhelm Lübke blickte in seinen Lebenserinnerungen auf eine gemeinsame Reise durch die Altmark zurück: „Im Herbst 1859 durfte ich meinen lieben Freund Theodor Fontane auf einer seiner Wanderungen durch die Mark begleiten. Es wanderte sich mit ihm ganz prächtig. Wir waren beide gut zu Fuß, beide mittheilsam. […] Während er in den Kirchen den historischen Erinnerungen nachging, machte ich Jagd auf ihre kunstgeschichtlichen Denkmäler.“




Kiessling’s Grosse Karte der Provinz Brandenburg, 1882
© Stadtmuseum Berlin

Wo immer er etwas Bemerkenswertes zu finden hoffte, reiste Fontane hin. Er beschrieb Schlösser, Herrenhäuser, Kirchen oder Fachwerk-Katen, wenn sie nur Erzählstoff boten oder eine Geschichte hatten. Er zeichnete eindrucksvolle Portraits der dort ansässigen Bürger und Pastoren, betrieb Charakterstudien von Künstlern und Reformern, Militärs und Junkern, von Sonderlingen und Exzentrikern. Darüber hinaus hatte er einen besonderen Blick für die märkische Landschaft. Fontane entdeckte zwischen Kiefern, Sumpf und Sand herbe, aber ansprechende landschaftliche Schönheiten, für die er einzigartige Worte fand.

„Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst Liebe zu ‚Land und Leuten’ mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß den guten Willen haben, das Gute gut zu finden, anstatt durch krittliche Vergleiche totzumachen“, schrieb Fontane 1864 im Vorwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes Die Grafschaft Ruppin. „Der Reisende in der Mark muß sich ferner mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinnausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich dem Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben. Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen Frauen. ‚Auch die häßlichste’ – sagt das Sprichwort – ‚hat immer noch sieben Schönheiten.’ Ganz so ist es mit dem ‚Lande zwischen Oder und Elbe’; wenige Punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man muß sie nur zu finden verstehn. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise.“

Zeit seines Lebens ein Wanderer
Obwohl Theodor Fontane seit 1878 auch als Romancier und Erzähler in Erscheinung trat, nahm ihn die Öffentlichkeit vorwiegend als Autor der Wanderungen wahr, als den Reiseschriftsteller, der unaufhörlich die Mark Brandenburg erkundete und diese Region für ein großes Publikum historisch und literarisch erschloss. Diese einseitige Wahrnehmung beklagte er zwar, blieb aber dennoch bis zuletzt leidenschaftlicher „Wanderer“ durch die Mark.

1881 verabschiedete sich der Autor im Schlusswort zum Band Spreeland als Wanderer: „Mit diesem IV. Bande nehm ich – wenigstens in meiner Wandereigenschaft – Abschied vom Leser, nicht weil der Stoff erschöpft wäre, wohl aber vielleicht die Geduld. […] Über zwanzig Jahre sind vergangen, seit ich Sommer 59 mit diesen Wanderungen begann.“

1889 erschien die Buchausgabe des Wanderungen-Ergänzungsbandes Fünf Schlösser. Altes und Neues aus der Mark Brandenburg, und im selben Jahr setzte Fontane die Arbeit an den Wanderungen fort. An seinen Verleger Wilhelm Hertz schrieb er am 26. Mai 1889, er plane nach längeren Vorarbeiten die „letzte märkische Aufgabe, zugleich die ‚märkischste‘“: eine Darstellung des Ländchens Friesack und der alten havelländischen Adelsfamilie Bredow. In den 1890er-Jahren sammelte er auch tatsächlich Stoff für diese geplante neue Ausgabe, und noch drei Tage vor seinem Tod bekräftigt er: „Ich will ein Buch schreiben, das etwa den Titel führen soll: ‚Das Ländchen Friesack und die Bredows‘“. Der Band sollte jedoch nicht mehr zu Lebzeiten erscheinen, sondern erst 1991, fast einhundert Jahre später, zusammen mit weiteren bis dahin unveröffentlichten Fragmenten der Wanderungen.
Theodor Fontane, Lithografie von Max Liebermann, Berlin 1896
© Stadtmuseum Berlin

Die Odyssee der „Wanderungen“
Im Jahr 1902 übereigneten die Erben Theodor Fontanes dessen Schreibtisch dem Märkischen Provinzialmuseum, aus dem das heutige Stadtmuseum Berlin hervorgegangen ist. Dieser Tisch aus poliertem Mahagoniholz hatte beachtliche Ausmaße: Er war 186 Zentimeter lang, 97 Zentimeter tief, 80 Zentimeter hoch und so ausgelegt, dass er frei im Raum stehen musste, denn an der Rückseite befand sich eine Vielzahl von Schubkästen. Darin bewahrte Fontane seine in Zeitungspapier eingewickelten Manuskripte auf. Otto Pniower, ab 1893 Assistent und ab 1918 Direktor des Märkischen Museums, übernahm die Durchsicht sämtlicher übereigneter Manuskripte mit dem Ziel, eine Fontane-Gesamtausgabe zu veröffentlichen.

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges musste das Märkische Museum geschlossen werden. Das Sammlungsgut wurde in eigens dafür angefertigte Holzkisten verpackt. Große Teile der Bestände wurden in den katakombenartigen Kellergewölben des Hauses verschlossen bzw. innerhalb Berlins ausgelagert. Andere Teile wurden im Verlauf des Krieges in Depots verbracht, die sich ab 1945 plötzlich außerhalb Deutschlands befanden. So gelangte der Schreibtisch ins ostbrandenburgischen Lagow (heute polnisch Łagów), Kisten mit Büchern und Handschriften ins Schloss Raduhn nahe Königsberg in der Neumark (heute Chojna) und ins nordböhmische Schloss Friedland (heute tschechisch Frýdlant).

Kurz vor Kriegende wurde das Märkische Museum zu 80 Prozent zerstört. Obwohl es schon 1946 wiedereröffnet werden konnte, wurden erst drei Jahre nach Kriegsende zufällig die auf dem Gelände des Museums verbliebenen Manuskripte Fontanes wiederentdeckt. Neben Teilen des Wanderungen-Konvoluts sind es die Originale der Erzählungen Unterm Birnbaum und Onkel Dodo, die Romane L’AdulteraVor dem SturmEffi Briest, die autobiographischen Darstellungen Meine Kinderjahre und Von Zwanzig bis Dreißig. Etwa die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Handschriften Fontanes galt als zerstört. 1975 und 2000 erhielt das Märkische Museum vernichtet geglaubte Manuskripte zurück, dennoch sind zahlreiche Schriftstücke aus dem Bestand des Museums bis heute verschollen geblieben.

Dieser Verlust ist für die Fontane-Forschung unermesslich. Mit den Manuskripten sind die handschriftlichen Druckvorlagen für Romane und Erzählungen Fontanes verloren gegangen. Und nicht nur diese. Der besondere Wert der Materialien ist in einem Teil der Rückseiten begründet. Denn die Rückseiten beschriebener Blätter nutzte Fontane häufig als Konzeptpapier. Zettel mit Vorarbeiten, umformulierten Niederschriften, mit Entwürfen für Gedichte, Briefe und Rezensionen sowie alltägliche Notizen – darunter Adressen, Speisepläne oder eine Liste einzupackender Reiseutensilien – legte Fontane mit der beschriebenen Seite nach unten zur Wiederverwendung auf seinen Tisch. So erklärt es sich, dass Vorder- und Rückseiten in keinem inhaltlichen Zusammenhang stehen.
Restaurierung und Erforschung
Fontane selbst beschrieb seine Arbeitsweise so: „Dreiviertel meiner ganzen literarischen Tätigkeit ist überhaupt Korrigieren und Feilen gewesen. Und vielleicht ist drei Viertel noch zu wenig gesagt.“ Er schrieb mit schwarzer Tinte und korrigierte mit Blau-, Blei- oder Rotstift. Nicht selten füllte er die Blätter bis an den äußersten Rand. Textteile aus bereits verworfenen Fassungen schnitt er aus und überklebte zu korrigierende Passagen.

Manuskriptseite „Friedrichsfelde“ aus „Wanderungen durch die Mark Brandenburg IV. Spreeland“
© Stadtmuseum Berlin
Im Verlauf von 130 Jahren war das verwendete Papier so fragil geworden, dass die Manuskripte dringend restauriert werden mussten. Pünktlich zum 200. Geburtstag Fontanes wurden alle beim Stadtmuseum Berlin erhaltenen Fontane-Handschriften rekonstruiert. Zwölf Restauratorinnen haben die Blätter stabilisiert und gereinigt. Sie lösten die von Fontane aufgeklebten Korrekturzettel und fixierten diese am Rand der Blätter. Dadurch können Wissenschaft und Interessierte erstmalig auch die vom Dichter überklebten Textstellen einsehen und die Rückseiten der Klebezettel in vollem Umfang auswerten.

Alle im Stadtmuseum befindlichen Manuskripte Fontanes wurden inzwischen digitalisiert. Das erhaltene Konvolut zu den Wanderungen durch die Mark Brandenburg enthält 250 Blatt aus dem Band Havelland, 250 Blatt Spreeland, 300 Blatt Fünf Schlösser und 50 Blatt Dörfer und Flecken im Lande Ruppin. Vorarbeiten und frühe Fassungen befinden sich auf Rückseiten der Manuskripte zu Frau Jenny TreibelGraf PetöfyStine und Vor dem Sturm.

Bei der Digitalen Landesbibliothek Berlin finden Sie alle Werkmanuskripte online