30.09.2025
„Heute noch, morgen schon. Filmische Perspektiven auf Berlin um 1990“ ab 2. Oktober im Museum Nikolaikirche
35 Jahre nach Ende der deutschen Teilung thematisiert eine raumgreifende Filmausstellung mit teils kaum bekanntem Material im Museum Nikolaikirche die grundlegenden Umbrüche und den Alltag in Berlin um 1990.
Die Ausstellung
Dokumentarische und künstlerische Kurzfilme sowie Film- und Fernsehausschnitte aus vier Jahrzehnten bis 2024 geben in der Ausstellung „Heute noch, morgen schon. Filmische Perspektiven auf Berlin um 1990“ individuell-persönliche Einblicke in die tiefgreifenden Veränderungen dieser Zeit. Zusätzlich beschäftigen sich die Künstler:innen und Filmemacher;innen Kerstin Honeit, Brenda Akele Jorde, Betina Kuntzsch, Pınar Öğrenci und Elske Rosenfeld aus heutiger Sicht mit jenen Jahren. Die drei Arbeiten von Honeit, Rosenfeld und Öğrenci sind installativ hervorgehoben. Alle Beiträge betrachten die räumlichen und gesellschaftlichen Kontinuitäten wie auch die Brüche in einer Stadt, die wie kaum eine andere die politische Geschichte Europas im 20. Jahrhundert verkörpert.
Die Nikolaikirche und die Deutsche Einheit
Die Nikolaikirche in Berlin hat die Geschichte der deutschen Einheit mitgeschrieben. Hier fand am 11. Januar 1991 die konstituierende Sitzung des ersten Gesamtberliner Abgeordnetenhauses seit 1948 statt. Ein symbolischer Akt an einem symbolischen Ort: Das älteste erhaltene Kirchengebäude der Stadt war 1809 Schauplatz der ersten Stadtverordnetenversammlung Berlins. Dass die deutsche Einheit eine Einheit ungleicher Partner war, zeigte die Abgeordnetenhaussitzung in der Nikolaikirche. Deren wichtigster Tagesordnungspunkt war die Debatte über die zukünftige Berliner Verfassung. Erwartungsgemäß entschied sich die Mehrheit der Abgeordneten dafür, den Geltungsbereich der West-Berliner Verfassung von 1950 auf den Ostteil der Stadt zu erweitern. Der alte Verfassungstext war zuvor um einen Zusatz ergänzt worden. Er besagte, dass die Abgeordneten – und nicht die Stadtgesellschaft – eine neue Verfassung erarbeiten und diese erstmalig per Volksentscheid bestätigen lassen sollten. Der Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches der DDR und die vorläufige Ost-Berliner Verfassung von 1990 – beide Papiere sahen mehr Mitspracherechte für die Bürger:innen vor – blieben in den Folgejahren weitgehend unbeachtet. Dennoch bedeutet die Berliner Verfassung von 1995 einen wichtigen Schritt zu stärkerer Teilhabe und somit zu mehr direkter Demokratie.
Der Ansatz
Die Ausstellung bietet Raum für den Blick auf eine Zeit voller Hoffnungen und Enttäuschungen: für persönliche Geschichten, Erfahrungen und Sichtweisen, die oft nicht gehört oder verdrängt wurden. Vor allem Menschen in Ost-Berlin erlebten den Sturm der Ereignisse als widersprüchlich: einerseits Selbstermächtigung, Freiheitsgewinn und die Versprechen der Marktwirtschaft, andererseits Verunsicherung, Arbeitsplatzverlust und Gewalt gegen Menschen, die als anders wahrgenommen wurden. Was bedeutete der Ausbruch von Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nach dem Mauerfall für Menschen mit Migrationsgeschichte in West- und Ost-Berlin? Bewusst beleuchtet „Heute noch, morgen schon“ Ereignisse, an die nicht oder anders erinnert wird. Dazu zählen zum Beispiel die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion oder der Wegfall der innerdeutschen Grenzkontrollen am 1. Juli 1990.
Das künstlerische Konzept
Das rund sechs Stunden umfassende Filmmaterial ist in eine ca. vier Meter hohe Gerüstlandschaft mit insgesamt neun großformatigen Bildschirmen eingebettet. Die Besucher:innen sind eingeladen, in filmische Momente wirklichen Lebens einzutauchen. Dabei reicht die Praxis der Filmemacher:innen von der teilnehmenden Beobachtung über das offene Gespräch bis hin zur künstlerischen Aneignung von Geschichte und Gegenwart. Eine Entdeckungsreise durch ein vergangenes und immer wieder anderes Berlin.
Publikation
Das begleitende Buch zur Ausstellung tritt in einen Dialog mit dem Filmmaterial. Es vereint vertiefende Filmbeschreibungen mit Archivalien zu historischen Ereignissen zwischen der Demonstration am Alexanderplatz am 4. November 1989 und der konstituierenden Sitzung des Gesamtberliner Abgeordnetenhauses am 11. Januar 1991 in der Nikolaikirche, ergänzt durch künstlerische Arbeiten aus der Sammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin
Weitere Informationen: https://www.stadtmuseum.de/wp-content/uploads/2025/09/Katalog_Heute-Morgen.pdf
Mitwirkende
Filme:
Juliet Bashore | Kerstin Bastian | Konstanze Binder, Lilly Grote, Ulrike Herdin, Julia Kunert | Ludger Blanke | Tsitsi Dangarembga | Jochen Denzler, Lew Hohmann, Petra Tschörtner, Hans Wintgen | Johann Feindt, Jeanine Meerapfel, Helga Reidemeister, Dieter Schumann, Tamara Trampe | Nele Güntheroth, Thomas Hahn | Kerstin Honeit | Brenda Akele Jorde | Riki Kalbe | Ingo Kratisch, Jutta Sartory | Betina Kuntzsch | Angelika Nguyen | Pınar Öğrenci | Helga Reidemeister | Pim Richter, Karl Farber | Elske Rosenfeld | Bernd Sahling | Volker Sattel | Viola Stephan | Petra Tschörtner | Chetna Vora
Kuration: Florian Wüst in Zusammenarbeit mit Suy Lan Hopmann
Publikation: Elke Neumann (Herausgeberin)
Szenografie: HMDMR [hamdemir], Bahadir Hamdemir
Medienproduktion: PxB Studios, Jana Pausinger, Alexander Bartneck
Programme
Eine Reihe von themenbezogenen Veranstaltungen begleitet die Ausstellung im Museum Nikolaikirche. Daneben findet eine Filmreihe in Kooperation mit Arsenal – Institut für Film und Videokunst, Büro für Dramaturgie, Gropius Bau, neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) und Stadtteilzentrum KREATIVHAUS auf der Fischerinsel statt.