Orte der Gedenkstelen in Berlin-Wedding
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Ich schrie: „Mrusunga!!!“

Im Rahmen der Gedenkstelen-Ausstellung „Wege des Erinnerns“ in Berlin-Wedding erzählen Mnyaka Sururu Mboro und Wan wo Layir von Erinnerung als Widerstand. Ihr Text ist ein vielstimmiger Ruf gegen das Vergessen – von kolonialen Zuschreibungen, umbenannten Straßen und persönlichen Geschichten, die sich zwischen Beats, Geistern und Alltagskämpfen entfalten.

Ich weiß nicht, wie ich dir sagen soll, wer ich bin. Ich habe es versucht – Gott weiß, dass ich es versucht habe – doch – kaum beginne ich zu antworten, löse ich mich auf. Ich werde wieder zum Kind; sitze in einem Zimmer voller Geister und versuche, die Aufgaben der Lebenden mit den Werkzeugen der Toten zu lösen. Du fragst, was ich tue und ich taste – nicht nach Worten, sondern nach Atem und Form, nach einer zitternden Linie zwischen Pflicht und Verlangen. Ich plane nicht. Planen ist für jene, denen die Zeit gehört. Aber ich antworte – ja, ich antworte, wenn ich gefragt werde. Das ist kein Ehrgeiz, es ist Verpflichtung. Es ist der Rhythmus der Ahnen, der an meine Rippen klopft.

Doch manchmal träume ich.

In diesem Traum werde ich zum DJ. Kein Mann, nein, sondern eine zitternde Frequenz zwischen den Welten. Mein Set würde den Titel tragen: Von Orangen-kickenden Straßenprotesten zur Großmutter, die auf das Kolonial-Curriculum einprügelt. Ich würde keine Platten drehen, sondern die Zeit selbst. Jeder Track würde bluten. Jede Bassline würde sich aus dem Grab erheben – eine Geburt.

Ich würde Bob Marleys Could You Be Loved spielen – und plötzlich würde der Raum vor Befreiung schwitzen. Wir würden zurück ins Empire tanzen – bevor es Havana Club umgetauft wurde – zur Mbole-Bantu-Diskothek. Dort begann der Kampf – bei einem Glas unter Freunden. Wir tanzten mit geballten Fäusten, boykottierten Orangen aus den Hainen der Apartheid. Sogar die Früchte trugen Mitschuld. Die Musik verstummte nie – weil die Vergangenheit nie endete, weil die Nadel nie die Schallplatte verließ.

Ich würde Africa Unite spielen und die Bassline durch den Rauch der Erinnerung ziehen lassen. Ich dächte an den „Mauerfall“ – den Mythos, das Monument; wie selbst der Zerfall monumental wird. Sie sagen, der Osten sei rassistischer und ich nicke. Wie bei einer Geschichte, die schon längst überlebt ist. Wobei ich immer im Westen gelebt habe. Ich kenne seine Brandopfer. Wir zogen in ein Haus mit einer Mauer in der Mitte. Sie trennte die Zimmer. Sie trennte den Atem. Aber das gesamte Haus stand in Brand.

Und als die Mauer fiel, bemerkte ich es nicht.

Es tut mir leid – aber es interessierte mich nicht. Das Einzige, was sich änderte, war, dass dem Supermarkt die Milch ausging und meine Tochter, die 1989 geboren wurde, schrie. Ihr Schrei übertönte jede Rede, die in Brandenburg gehalten wurde. In diesem Moment wusste ich: Wir kämpfen nicht gegen Mauern, sondern gegen Blicke. Seitenblicke. Osten oder Westen – sie schauen uns gleich an. Ein kurzes Hinschauen ist kein Starren. Anstarren ist keine Anerkennung.

Für mich war das Alltägliche stets eindringlicher als das Monumentale. Milch für ein Baby – nicht die Theorie des Kalten Krieges. Die Ohrfeige einer Großmutter – nicht die Rede eines Kanzlers.

Ich benenne den Kolonialismus nicht, wenn es nicht notwendig ist. Warum brauche ich eine Theorie als Beweis für das, was längst in meinen Knochen steckt? Dort lebt das Politische – im stillen Beharren des Alltags. Das ist meine Art des Widerstands.

Wir dürfen nicht frustriert sein. Das ist ihr Traum, nicht unserer. Unserer ist die Pflicht und Pflicht weicht nicht zurück. Wir sind nicht hier, um das Spiel zu gewinnen, wir sind hier, um das Spielbrett zu verbrennen.

Dann spiele ich Sweet Mother von Prince Nico Mbarga. Und ich erinnere mich. Ich erinnere mich, wie meine Großmutter einer Lehrkraft eine Tracht Prügel verpasste, weil sie behauptete, ein weißer Mann habe den Kilimandscharo entdeckt. Als hätte sich der Berg versteckt. Als hätten wir nicht an seinem Fuß gebetet, seinen Winden Namen gegeben, wären nicht mit seinem Schatten gewandert. Als könne ein Mann ihn für sich beanspruchen – wie ein Dieb, der einen Sonnenuntergang sein Eigen nennt.

Ich erinnere mich, als ich den Wannsee entdeckte. Sie nannten ihn einen See. Ich nannte ihn Mrusunga. Denn ein See verbirgt seine andere Seite. Er verschluckt dich. Aber dies war ein Spiegel – eine Wunde, die eine Wunde widerspiegelte. Du blickst hinein und siehst dich selbst – gespiegelt, doch verkannt.

Geschichte ist in das Schweigen unserer Mütter eingebrannt, der Bruch in unseren Zungen. Es geht nicht darum, den Streit zu gewinnen. Es geht darum, zu leben, damit andere leben können. Vielleicht werde ich nicht mehr da sein, um mich an dem zu erfreuen, was wir aufbauen. Das ist nicht die Abmachung. Dennoch bauen wir weiter auf. Dennoch träumen wir – Pflicht ins Dasein. Die Aufgabe eines Handwerkers ist es, das Haus zu bauen, nicht darin zu wohnen.

Wir dürfen uns nicht dem Erinnerungswettbewerb anschließen. Es gibt keine Goldmedaillen fürs Trauern. Keine Pokale fürs Überleben. Wenn wir versuchen, in ihrem System zu gewinnen, werden wir immer verlieren. Sie sagen, Deutschland hatte keine Kolonien. Aber nannten sie mich nicht Ludwig Johann? Und meine Schwester Johanna? Sind das nicht deutsche Namen, die uns in den Mund gestopft wurden, bevor wir unsere eigenen aussprechen konnten? Was sind wir, wenn nicht Kolonien der Fantasien?

Bevor ich jemals eine Straße umbenannte, musste ich mich selbst umbenennen.

So wie Ngũgĩ wa Thiong’o, der sich von James weg und seiner Muttersprache zuwandte. So wie Audre Lorde, die sich weigerte, falsch benannt zu werden. So wie May Ayim. Ah, May – wusstest du, dass sie einst auf meine Tochter aufpasste? Bevor Ghana sie heimrief. Bevor sie strahlend zurückkehrte – und dann für immer ging. Ein Schweigen, das ich bis heute in mir trage. Wenn ich also Sweet Mother spiele, ist es Trauer – ist es Widerstand – ist es eine Namensgebung.

Und dann lege ich etwas anderes auf. Kein Beat. Kein Genre. Ein Riss in der Zeit. Denn DJs verbiegen die Wirklichkeit. Zumindest dieser DJ – DJ Mboro.

Zum Schluss, junge Leute – um euch ein wenig auseinanderzunehmen, damit etwas Neues wachsen kann – lege ich Jerusalema auf. Wie heißt er nochmal? „Master“? KG? Als ich dieses Lied zum ersten Mal hörte, war es nicht nur ein Beat. Es war ein Aufschrei. Ein Gebet mit Tanzschuhen. Ich dachte: Das ist ein Lied über Palästina. Vielleicht irre ich mich. Doch manchmal bringt dir Überleben bei, die Dinge dort zu verorten, wo du sie gerne hättest. Wir können nicht warten, bis alles richtig ist. Wir müssen es selbst richten.

Wir dürfen nicht allein träumen. Wir müssen arbeiten – wie Bienen, wie Ahnen – im Schwarm. Was, wenn jedes Lied ein Befreiungslied sein könnte, wenn wir nur mit dem richtigen Ohr hinhörten?

Dann spiele ich meinen lieben Freund Manu Dibango. „Oh, Manu nuh.“ Nicht nur Saxophon. Eine Opfergabe. Ich will Geschichte nicht als Buch lehren. Ich will, dass du sie spürst wie einen Muskel: in deinen Hüften, in den Händen deiner Großmutter, im Schrei deines Kindes. Träume enden nicht in der Theorie. Sie dringen in die Knie. Werden zu Schweiß, geballten Fäusten, offenen Händen, einem Beat, der sich weigert, zu sterben.

Tanzt, ihr jungen Menschen. Aber vergesst nicht, mit wem ihr tanzt. Ihr tanzt mit Geistern. Ihr tanzt mit Feuer. Ihr tanzt mit der Möglichkeit, dass ihr – ja, ihr – eines Tages vielleicht selbst zu dem Lied werdet, das ein anderer Mensch braucht, um zu überleben.

Wenn ich nur eins sagen könnte, wäre es: die Rechte der Menschen. Ein kurzer Satz, aber schwer – wie ein Stein im Mund eines Ertrinkenden. Weißt du, es geht nicht darum, Rechte zu definieren. Es geht darum, wer „die Menschen“ sagt. Denn viel zu oft stehen unsere Rechte zu ihrer Linken und ihre Gerechtigkeitskarte ist schräg.

Was bedeutet es, immer auf der falschen Seite der irgendwie geheiligten Idee von Gerechtigkeit anderer zu stehen? Es bedeutet, dass dein Schmerz zur Requisite wird, dein Überleben zur Museumsvitrine. Wir leben nicht in einer Erinnerungskultur – wir überleben einen Erinnerungswettbewerb. Und in diesem Wettkampf gibt es Medaillen für Schweigen, für Scham, für Verschwinden.

Aber uns geht es nicht um den Sieg. Uns geht es um Veränderung.
Wenn ich also Straßenumbenennungen sehe, klatsche ich nicht. Ja, etwas hat sich bewegt – aber diese Veränderung ist kein Zuhause. Denn dieselbe Hand, die unseren Namen aufs Schild geschrieben hat, war es, die die Tür in der Wilhelmstraße 92 wieder schloss. Wir bitten nicht um Platzkarten am Tisch des Empires (Kolonialreichs). Wir schaffen etwas anderes – außerhalb des Hauses, unterhalb des Namens, jenseits der Straße. Etwas, das nie verschwunden war.

Der Text entstand im Rahmen einer Kooperationsausstellung der Galerie Wedding und dem Team Erinnerungsort Kolonialismus am Stadtmuseum Berlin.

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