/ 
Mary Wigman
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Oliver Ziebe

Mary Wigman (1886 – 1973)

Ein Leben für den Tanz

Mary Wigman gilt heute als die große deutsche Tänzerin und Choreografin ihrer Zeit. Mit ihr gelang dem modernen Ausdruckstanz der internationale Durchbruch.

Am 13. November 1886 als Karoline Sofie Marie Wiegmann in Hannover geboren, wird das Mädchen von den Eltern schon früh „Mary“ gerufen. Nach dem Abschluss einer Höheren Töchterschule und Aufenthalten in englischen und Schweizer Mädchenpensionaten studiert sie von 1910-12 in Dresden erfolgreich Rhythmische Gymnastik. Durch die enge Bindung von Tanz an die Musik fehlt es ihr jedoch an künstlerischer Entfaltungsmöglichkeit. Im Jahr darauf findet Mary in der Schweizer Künstlerkolonie Monte Verità, was sie beim Tanzen bisher vermisst hat. 

Unter dem ungarischen Kunsttheoretiker, Choreografen und Tänzer Rudolf von Laban entwickelt sie die körperlichen Ausdrucksformen, durch die sie in den Folgejahren berühmt werden soll. Schon 1914 tritt sie erstmals als Solotänzerin auf, zuerst in München, dann mehrfach in der Schweiz, und 1918 nimmt sie den Künstlernamen Wigman an, unter dem ihr 1919 in Dresden der Durchbruch gelingt. 

Triumph und Auftrittsverbot
Mit der von ihr gegründeten Tanzgruppe feiert Mary Wigman in Deutschland und den Nachbarländern große Erfolge. In den späten zwanziger Jahren tritt sie erstmals in England auf, Anfang der dreißiger Jahre in den USA. Mit ihr wird der „New German Dance“ international zum Begriff. Sie ersinnt immer neue Solotänze, die oft nur zu Rhythmen oder Klängen, vereinzelt sogar frei von Musik zur Aufführung gelangen. An der von ihr gegründeten Tanzschule in Dresden und deren Niederlassungen lernen Hunderte von Schülerinnen und Schülern den expressionistischen Tanz – eine unternehmerische Herausforderung, bei der sie seit 1929 der 13 Jahre jüngere Siemens-Ingenieur Hanns Benkert unterstützt, zu dem sie eine Beziehung unterhält.

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wird Wigmans Tanzschule Teil des Kampfbunds für deutsche Kultur, sie selbst bis 1934 Ortsgruppenleiterin im NS-Lehrerbund. Im selben Jahr übernimmt der NS-Gymnastiklehrer Hans Huber die „pädagogische Leitung“ ihrer Schule. Wigman kämpft um die Anerkennung ihrer Kunst durch die Machthaber und den Fortbestand ihres Lebenswerks. Zunächst mit Erfolg: Zur Eröffnung der Olympischen Spiele 1936 in Berlin trägt sie mit der Choreografie „Totenklage“ zu Adolf Hitlers triumphalem Propagandaspektakel bei.

Dennoch ist sie zunehmend Repressalien ausgesetzt, da sie weiterhin an Schülerinnen und Tänzerinnen jüdischer Herkunft festhält. Benkert, inzwischen Siemens-Vorstand und Parteimitglied mit besten Verbindungen in Wirtschaft und Machtapparat, schützt sie noch einige Jahre. Als er  1941 das Verhältnis beendet, ist es damit vorbei: Wigman erhält bald darauf Auftrittsverbot, ihre Dresdener Tanzschule muss sie verkaufen. Ihr Tanz gilt nun als „entartet“.

Neubeginn im Westen 
Im Mai 1945 endet das „Dritte Reich“. Für Wigman aber, die seit 1942 in Leipzig lebt, bringt das Ende keine künstlerische Befreiung. In einem Brief an den Komponisten Kurt Schwaen schreibt sie: „Die Monate amerikanischer Besatzung waren im Hinblick auf Kulturelles völlig negativ“. Auch nach deren Abzug empfindet sie die Lage in der nun sowjetischen Besatzungszone als schwierig: „Ich könnte es ja anders haben, wenn ich mich hätte einschalten lassen, in das was man Agit-Prop nennt“, so Wigman 1946 in einem weiteren Brief an Schwaen. „Aber, ich will keine Abhängigkeit, die verpflichtet, will weder Kompromisse noch Niveausenkung, und so kämpfe ich lieber um den Pfennig, als dass ich mich zum Reklameschild hergebe.”

Trotzdem sie in Leipzig wieder eine Tanzschule aufbauen kann und 1947 mit ihrer Inszenierung von „Orpheus und Eurydice“ erneut Aufsehen erregt, übersiedelt Wigman 1949 schließlich nach West-Berlin, wo sie mit dem Mary-Wigman-Studio noch einmal eine Schule für Ausdruckstanz gründet. Als Tänzerin und Choreographin gelingt es ihr  in den fünfziger Jahren von hier aus, mit Aufführungen in Westdeutschland und der geteilten Stadt an ihre Erfolge aus der Vorkriegszeit anzuknüpfen. Inzwischen Mitglied der Berliner Akademie der Künste, wird sie mehrfach ausgezeichnet: Neben hochkarätigen Kunstpreisen erhält sie 1957 das Große Bundesverdienstkreuz. 

Abschied von der Bühne
Nachdem sie bereits 1953 zum letzten Mal selbst öffentlich getanzt hatte, wird „Orpheus und Eurydike“ auch an der Städtischen Oper Berlin 1961 ihre letzte Inszenierung. Wigman zieht sich von der Bühne zurück und schließt 1967 mit nunmehr 80 Jahren auch das Mary-Wigman-Studio. Fortan tritt sie national und international nur noch durch Vorträge über den Tanz in Erscheinung. Infolge einer Augenoperation verliert sie 1973 nahezu vollständig das Augenlicht. Im selben Jahr stürzt sie schwer. Am 18. September stirbt sie in einem Berliner Krankenhaus.