Orte der Gedenkstelen in Berlin-Wedding
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Namensgebung und Benennen

Im Rahmen der Gedenkstelen-Ausstellung „Wege des Erinnerns“ in Berlin-Wedding setzen sich Dr. Ibou Coulibaly Diop und Julien Enzanza mit kolonialer Geschichte und Widerstand auseinander. Ihr einleitender Essay fragt, wie Erinnerung sichtbar wird – und warum Straßenumbenennungen mehr sind als Verwaltung: Sie sind Zeichen für Gerechtigkeit und kollektives Gedenken.

Wie wird Geschichte geschrieben? Welche Geschichten werden erzählt – und welche nicht? Die Antworten auf diese Fragen prägen unsere Wahrnehmung von Raum und Zeit. Die im Westen oft verdrängte Geschichte kolonialer Unterdrückung und Ausbeutung ist untrennbar verbunden mit einer Geschichte des Widerstands – einer Geschichte, die hierzulande noch seltener erzählt wird. Wie lässt sich dieser Widerstand sichtbar machen? Ein Widerstand, der immer und überall existiert hat und der bis in unsere Gegenwart wirkt. Diese Sichtbarmachung ist häufig eng verknüpft mit Biografien von Menschen, die sich in Zwischenräumen verorten – oder dort verortet werden.

Ein bedeutender Schritt in Berlins Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit ist die Um- und Neubenennung von Straßen im „Afrikanischen Viertel“ in Berlin-Wedding sowie die kritische Betrachtung der sogenannten „Asiatischen Straßen“. Dieser Prozess ist mehr als ein administrativer Vorgang – er ist ein Akt der Erinnerungsarbeit und des kollektiven Gedenkens.

Die Kolonialzeit Deutschlands begann offiziell 1884 mit der Berliner Konferenz, bei der europäische Mächte den afrikanischen Kontinent unter sich aufteilten. Deutschland erwarb Kolonien in Gebieten, die heute unter anderem zu Namibia, Tansania, Kamerun, Gabun, China, Papua- Neuguinea, Palau und Togo gehören. Die Gewalt der deutschen Kolonialherrschaft hinterließ tiefe Wunden in diesen Regionen – ein Kapitel, das in der deutschen Geschichtsschreibung lange marginalisiert wurde.

Straßennamen und Plätze im „Afrikanischen Viertel“ – etwa die Lüderitzstraße, die Petersallee oder der Nachtigalplatz – ehrten über Jahrzehnte hinweg Kolonialakteure, die für Unterdrückung, Ausbeutung und Gewalt stehen. Die Forderung nach ihrer Umbenennung ist Ausdruck eines tiefen Wunsches nach Gerechtigkeit und nach Anerkennung des erlittenen Unrechts. Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen und Communities haben sich über Jahre für eine kritische Neubewertung eingesetzt. Die Umbenennungen markieren einen symbolischen wie auch politischen Wendepunkt: Sie machen Geschichte sichtbar und geben den Opfern sowie den Widerstandskämpfer*innen eine Stimme – eine Stimme, die nicht nur in Berlin und Deutschland gehört werden sollte, sondern auch weit über diese Grenzen hinaus.

Dass Kolonialgeschichte immer auch Widerstandsgeschichte war, zeigen die fundierten Forschungen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die sich seit Jahrzehnten dieser Thematik widmen. Ihnen verdanken wir Ausstellungen, Publikationen und Eingriffe in den öffentlichen Raum – etwa durch Straßenumbenennungen oder Gedenktafeln –, die die koloniale Vergangenheit Berlins heute sichtbarer machen. Postkoloniales Erinnern bedeutet, Menschen in ihrer Vielheit ernst zu nehmen. Es heißt, die bisher unerzählten Geschichten – insbesondere die des Widerstands – als integralen Bestandteil nationaler Geschichte anzuerkennen und in einem europäischen wie globalen Kontext zu verorten. Erinnerungsarbeit wird nicht unmittelbar bestehende Machtverhältnisse verändern. Doch sie kann den Grundstein legen für eine andere, gerechtere Zukunft – eine Zukunft, in der Kolonialismus nicht mehr möglich ist!

In diesem Sinne bedeutet Erinnern auch, kritisch zu hinterfragen, neu zu lernen und alte Narrative zu verlernen. Die Umbenennung von Straßen ist ein sichtbares Zeichen dieses Prozesses und gleichzeitig eine Einladung an die Gesellschaft, sich aktiv mit der kolonialen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Gemeinsames Gedenken spielt dabei eine zentrale Rolle.

Es geht um kollektives Reflektieren, Lernen und Erinnern.

Der Text entstand im Rahmen einer Kooperationsausstellung der Galerie Wedding und dem Team Erinnerungsort Kolonialismus am Stadtmuseum Berlin.

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