Garland-Tänzerinnen in Blumen-Kostümen, 1930.
© Stadtmuseum Berlin

Afro-amerikanische Bühnen-Künstler:innen 1877-1933

von Deborah Pomeranz


Von den Jubilee Singers bis zum Jazz: Musiker:innen, Tänzer:innen und Varietékünstler:innen in Berlin

„Der Rhythmus unserer Zeit ist der Blues“, schrieb der Wahl-Berliner Louis Douglas 1926 in einem Artikel, der in der Erstausgabe der Kulturzeitschrift Revue des Monats erschien. Und er musste es wissen: Seit 1903 war das ursprünglich aus Philadelphia (Pennsylvania, USA) stammende Multitalent als Sänger, Tänzer, Schauspieler, Komiker, Choreograf, Drehbuchautor und Produzent durch Europa getourt. Zudem war ihm durch seinen Schwiegervater, den Komponisten und Dirigenten Will Marion Cook, der von 1887 bis 1889 an der Berliner Hochschule für Tonkunst studiert hatte, auch die hiesige Musikszene jener Jahre bekannt.
Marion Cook und Louis Douglas, 1927. Aus: Das Illustrierte Blatt, 1927, Nummer 15, Seite 410
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: Baruch

Mit seinem Artikel brachte Douglas auf den Punkt, was alle schon wussten, die in den vorangegangenen fünfzig Jahren ein Liederbuch übersetzter Spirituals gekauft, in Ballsälen Cakewalk getanzt, sich in Varietétheatern „All Black“-Revuen angeschaut oder im Szenebezirk Schöneberg einen Jazzclub besucht hatten: Die Berliner Kulturgeschichte wäre ohne die Einflüsse Afroamerikanischer Künstler:innen nicht zu dem geworden, was sie war.

„Der Rhythmus unserer Zeit ist der Blues“
Louis Douglas, 1926
Die Jubilee-Singers in der Singakademie zu Berlin. Aus: Daheim, 15. Jahrgang, Nummer 30, 1878
gemeinfrei via Universität Potsdam

Sensation aus Übersee

Herbst 1877: Die Fisk Jubilee Singers, ein Chor der Fisk University in Nashville (Tennessee, USA), treten eine zehnmonatige Tournee durch das damalige Deutsche Reich an. Damit möchten sie Geld für die junge Universität sammeln, an der von der Sklaverei befreite Afroamerikaner:innen studieren. Sie werden in Berlin zu einer Sensation, singen in der zentralen Domkirche, in der Berliner Singakademie und sogar vor der Prinzessin und dem Kronprinzen von Preußen in Potsdam.
Durch ihre Auftritte, verkaufte Liederbücher und nicht zuletzt die begeisterten Presseberichte wird ein breites Berliner Publikum zum ersten Mal mit (für das Konzert adaptierten) Spirituals bekannt, einem Bestandteil der Afroamerikanischen Musiktradition. Ihre souveränen Auftritte stehen im Kontrast zu den gängigen, rassistischen Stereotypen aus den so genannten Minstrel-Shows, in denen durch „Blackfacing“ schwarz geschminkte Darsteller:innen die versklavten Afroamerikaner:innen als fröhlich und naiv darzustellen meinen.
Eingangsfront der Berliner Singakademie, um 1885.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: F. Albert Schwartz

Zwar hat der Erfolg der Jubilee Singers die Kehrseite herabwürdigender Neugier und aufdringlicher Suche nach vermeintlichen rassischen Unterschieden, die die aufstrebende Kolonialpolitik des Deutschen Reiches ideologisch untermauern soll. Dennoch kehren die Fisk Jubilee Singers wiederholt nach Berlin zurück und ermutigen auch zahlreiche weitere Kapellen, die deutsche Hauptstadt auf ihren Tourneen zu besuchen, darunter das Clifton Jubilee Quintett und die Black Troubadors.

Afroamerikanische Gemeinde

Bis Ende des 19. Jahrhunderts gab es eine Afroamerikanische Gemeinde in Berlin, die sich durch berufliche Netzwerke und besondere Veranstaltungen organisierte, zum Beispiel 1895 mit einem Sommerfest im Müggelschlößchen, einem damals beliebten Ausflugslokal. Neben Kapellen kamen auch klassische Musiker:innen und Opernsänger:innen sowie Zirkusartist:innen und Varietékünstler:innen nach Berlin.

Müggelschlößchen, Postkarte, um 1905.
© Stadtmuseum Berlin | Herstellung: E. Weinland, Berlin

Manche entschieden sich, nach der Tournee in der Stadt zu bleiben. Hier genossen sie im Vergleich zu den USA höhere Löhne und etwas bessere Rahmenbedingungen. Andererseits waren die Berufsmöglichkeiten für Schwarze Menschen außerhalb der Musik- und Unterhaltungsindustrie in Deutschland stark eingeschränkt, was sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts nicht grundlegend änderte. Daher bestand die Afroamerikanische Gemeinde hauptsächlich aus Künstler:innen und Student:innen.

Dora Dean und Charles Johnson, Postkarte „Achwiesüss“, um 1905.
© Stadtmuseum Berlin | Herstellung: Georg Gerlach & Co., Berlin

Ein neuer Tanz

Im Oktober 1901 stand das Tanzpaar Dora Dean und Charles Johnson – frisch aus New York eingetroffen – auf der Bühne des Wintergarten-Theaters in der Friedrichstraße. Die beiden trugen elegante Abendgarderobe und tanzten mit übertriebener Gestik zu synkopierter – also von asymmetrischen Rhythmen – geprägter Musik: Es war der Cakewalk, wohl zum ersten Mal in Berlin vorgeführt. Den Tanz hatten versklavte Afroamerikaner:innen ursprünglich als Parodie auf die weiße Oberschicht entwickelt. Durch Vaudeville, eine Form des Varietés, wurde er in den USA zu einem beliebten Gesellschaftstanz.

Um die Jahrhundertwende brachten ihn Afroamerikanische Tänzer:innen nach Europa. Ihre luxuriösen Bühnenkostüme und die elegante Selbstinszenierung standen wie bei den Jubilee Singers in Gegensatz zu den rassistischen Klischees der immer noch weit verbreiteten Minstrel-Shows. In Berliner Varieté-Theatern traten Cakewalker wie Johnson und Dean, David und Besie Banks oder Emma Harris und ihre Louisiana Troupe immer wieder auf.

Die Geschwister Anderson, 1903. Die Schwestern Sadie, Rosie und Fanny Anderson tourten ab 1891 als Akrobatinnen.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Hoffmann & Fursch, Leipzig

Aufgrund seiner Beliebtheit eigneten sich bald auch nicht-Afroamerikanische Tänzer:innen den Cakewalk an und führten ihn vor. Schallplattenfirmen begannen, den Jazz-Vorläufer Ragtime ins Programm aufzunehmen, der den Tanz begleitete. Selbst jenseits der Bühne inspirierte der Cakewalk mit seinen Rhythmen und energiegeladenen Bewegungen, mit eleganter Mode und dem Spiel mit Geschlechterrollen die Populärmusik, Mode, Werbung und Alltagskultur Berlins.

Historische TonAufnahme, ca. 1905
„Whistling Rufus“: So klang der Cakewalk

Kulturelemente aus der Alpenregion

Infolge des vielfältigen kulturellen Austauschs in der Metropole passten Afroamerikanische Künstler:innen in Berlin ihr Repertoire an, insbesondere mit Kulturelementen aus der Alpenregion, die beim Stadtpublikum immer gut ankamen. Das Standardprogramm der Sängerin Arabella Fields, die in Berlin, Hamburg und Bremen lebte, bestand aus deutschen Volksliedern und Jodeln, vorgetragen in alpenländischer Tracht.

„The 4 Black Diamonds“: die Verwandlungs-Sänger, Tänzer und Komiker H. M. Johnson, Norris Smith, Walter Dixon und Pete Washington, nach 1905.
© Stadtmuseum Berlin
Das Varietéquartett The Four Black Diamonds führte als Schlussszene eine vom Publikum und der Presse gefeierte „Tirolnummer“ vor. Neben der Anziehungskraft auf ein zahlreiches Publikum, die solche gefragten Programme versprachen, wirkten sie auch als Ausdruck der Zugehörigkeit zu dem Land, in dem die Vorführenden schon jahrelang lebten.

Kriegsbedingter Exodus und Rückkehr

Der Erste Weltkrieg stellte für die Afroamerikaner:innen in Berlin einen tiefen Einschnitt dar. Die Mehrheit verließ schon 1914 die Stadt. Viele, wie Louis Douglas, verbrachten die Kriegsjahre in London. Andere, wie Johnson und Dean, kehrten in die USA zurück oder gingen auf Tournee, wie David und Besie Banks in Südamerika.

Erst nach dem Krieg, insbesondere nach dem Ende der kriegsbedingten Inflation 1924, kamen sowohl sie als auch eine neue Generation Afroamerikanischer Künstler:innen wieder nach Berlin. Die große Popularität des Jazz brachte Sidney Bechet, Buddy Gilmore und viele weitere bedeutende Musiker:innen in die Stadt. Ihre Auftritte und Erfahrungen in Europa wurden mit Interesse in der aufblühenden Afroamerikanischen Presse verfolgt.
Musiker Buddie Gilmore an seinem Jazz-Band-Schlagzeug und Musikerin Martha Gilmore, geb. Brown, Berlin, um 1925.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: R. Sennecke

Comeback der „All-Black-Revue“

Mit der Musik der Zeit ließen Produzent:innen, wie Louis Douglas und Will Garland, die schon vor dem Krieg bekannten „All Black“-Revuen wieder aufleben, Varietéprogramme mit ausschließlich Schwarzer Rollenbesetzung. Diese Revuen waren vom Schwarzen New Yorker Musiktheater um 1900 sowie von Minstrel-Shows, Operetten und dem Cakewalk beeinflusst. Sie bedienten sich neben Klischees der Minstrel-Shows auch der kolonial-rassistischen Bühnensprache der so genannten „Völkerschauen“, wodurch sie deren Darstellung Schwarzer Menschen als unterlegen sowohl parodierten als auch reproduzierten.

Garland-Tänzerinnen in Blumen-Kostümen, Hamburg, 1930.
© Stadtmuseum Berlin

In den 1910er und 1920er Jahren gingen viele solcher Revuen auf Tournee, und mit dem ersten Auftritt der Tänzerin Josephine Baker in Europa gewannen sie 1925 noch an Beliebtheit. Darauf aufbauend schrieb Douglas, neben Baker auch als Hauptdarsteller auf der Bühne, zwei All-Black-Revuen, „Black People“ und „Louisiana“, die er 1926 und 1929 in Berlin uraufführte.

Der Schauspieler Louis Brody, Berlin, um 1930. Aus: Tobias Nagl, Die unheimliche Maschine – Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, München: edition text+kritik, 2009, Seite 565.
© Tobias Nagl | Foto: Yva
Die „All Black“-Revuen beschäftigten neben Afroamerikanischen Darsteller:innen auch Afrodeutsche und andere Afroeuropäer:innen, Afrokarib:innen und Afrikaner:innen. Der kamerunisch-deutsche Schauspieler Louis Brody zum Beispiel hatte in der Revue „Black People“ gespielt, bevor er seine eigene Revue „Sonnenaufgang im Morgenland“ in Kliems Festsälen an der Hasenheide (Neukölln) inszenierte, einem Treffpunkt der Arbeiterbewegung. Die Schwarze deutsche Schauspielerin Helen Allen hatte die Hauptrolle in dem Stück, das afrikanische Geschichte mit Jazzbegleitung vorstellte.

Künstler:innen-Netzwerk

Schwarze Künstler:innen vernetzten sich im Laufe der 1920er Jahre in Berlin zunehmend auch jenseits der Bühne, obwohl sie sich im Hinblick auf Sprache, Kolonialismus-Erfahrungen, Staatsangehörigkeit oder Staatenlosigkeit und den damit verbundenen rechtlichen Status voneinander unterschieden. Ein zentraler Treffpunkt der Filmbranche – wohl das Wintergarten-Café im Central-Hotel in der Friedrichstraße – diente als Drehscheibe des Afrodiasporischen Schauspielnetzwerks. Hier trafen sich Schwarze Berliner:innen, boten und suchten Arbeit mithilfe einer umfangreichen, selbstverwalteten Kartei. Die Mehrzahl der ihnen offenstehenden Rollen waren aber weiterhin exotisierend und auf rassistischen Klischees aufgebaut.
Eingang zum Café Wintergarten im Central Hotel, 1936.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: H. Mederer

Ende einer Epoche

In den frühen Jahren des Nationalsozialismus durften Schwarze Schauspieler:innen als Propaganda für dessen rassistische Ideologie zumindest noch in solchen stereotypen Rollen arbeiten. Der Jazz aber wurde als Erzeugnis Schwarzer Kultur als „entartet“ angefeindet.  Angesichts der zunehmenden Hetze und Entrechtung unter dem Nationalsozialismus verließ die Mehrheit der hier lebenden Afroamerikaner:innen Deutschland, darunter auch Louis Douglas und Marion Cook. Obwohl der US-amerikanische Pass ihnen die Ausreise in der Praxis erleichterte, dürfte es dennoch ein schwieriger und zwiespältiger Abschied gewesen sein von einer Stadt, in der ihr künstlerischer Werdegang oft von Gegensätzen geprägt war: von Freiraum und Einschränkung, von Selbstdarstellung und Exotisierung, von Gemeinschaft und Vereinsamung, von Berühmtheit und Geringschätzung, von Erfolg und Ausgrenzung.

Weiterführende Literatur

Robbie Aitken / Eve Rosenhaft. Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community, 1884-1960. Cambridge, 2013.

Frederike Gerstner. Inszenierte Inbesitzsnahme. Blackface und Minstrelsy in Berlin um 1900. Stuttgart, 2017.

Jeffrey Green et al. Black Europe. Holste-Oldendorf, 2013.

Astrid Kusser. Körper in Schieflage. Tanzen im Strudel des Black Atlantic um 1900. 2013, Bielefed.

Rainer Lotz. Black People. Entertainers of African Descent in Europe, and Germany. Bonn, 1997.

Temi Odumosu / Hilke Thode-Arora / Natasha A. Kelly / Laetitia Lai. „Unterhaltungskultur“. In: Kirchner und Nolde. Expressionismus. Kolonialismus. München, 2021, S. 138-195.

Paulette Reed-Anderson. Eine Geschichte von mehr als 100 Jahren. Die Anfänge der Afrikanischen Diaspora in Berlin. Berlin, 1995.

Kira Thurman. „Singing the Civilizing Mission in the Land of Bach; Beethoven; and Brahms: The Fisk Jubilee Singers in Nineteenth-Century Germany.“ In: Journal of World History, 27:3, 2016, S. 443-471.

Black Central Europe: https://blackcentraleurope.com/quellen/

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