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Kommode, ca. 1750. Holz, Mahagoni, Bronze, Marmor, 88 x 171 x 65 cm.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Dorin Alexandru Ionita

Anet-Kommode

Sie gehört zum „Reichsbankmöbel“-Bestand des Stadtmuseums Berlin: die Anet-Kommode. Doch warum gelangte die französische Kommode in das Märkische Museum, das auf die Geschichte Berlins und Brandenburgs spezialisiert ist? Wir geben Einblick in die laufende Provenienzrecherche.

von Dr. Regina Stein

Die Anet-Kommode ist eines von 47 historischen Möbeln, die gemeinsam Anfang der 1950er Jahre vom Ministerium der Finanzen der DDR in der Unterwasserstraße in Berlin-Mitte an das in der Nähe gelegene Märkische Museum überwiesen wurden.

Woher stammen die Möbel?

Auf einer historischen Karteikarte steht eine handschriftliche Notiz von unbekannter Hand, wonach die Kommode womöglich aus dem „Reichsbankbunker“ geborgen worden sein soll, dem öffentlichen Luftschutzkeller im Erweiterungsbau der Reichsbank in der Kurstraße. Die Baugeschichte der alten Reichsbank und des Erweiterungsbaues während und nach dem Zweiten Weltkrieg war daher für die Herkunftsklärung der Kommode von Interesse.
Der Eintrag zur Anet-Kommode im Inventarbuch des Märkischen Museums verzeichnet am 5. Mai 1952 als Vorbesitzer und überweisende Stelle das Ministerium der Finanzen der DDR (MdF), genauer deren Abteilung Bau und Investitionen.
© Stiftung Stadtmuseum Berlin | Hausarchiv

Möbelsichtung: Die Merkmale

Zu Beginn wird die Kommode von allen Seiten gründlich auf alle vorhandenen Merkmale untersucht: Geschaut wird nach Aufklebern, Aufschriften mit Kreide oder Faserstiften, Stempeln von der Herstellung oder Markierungen vom Verkauf, von der Lagerung, von Ausstellungen oder Transporten. Bei der Kommode finden sich auf der Rückseite einige interessante Aufkleber, Aufschriften und ein Brandstempel, der in der Möbelfachliteratur nachgeschlagen werden kann: Der Brandstempel in Form eines Ankers mit einem „A“ und einem „T“ verweist auf einen frühen Besitz des Schlosses Anet. Dieses liegt ca. 80 Kilometer westlich von Paris (Frankreich).

Eine weitere interessante Aufschrift ist die schwarze Nummer „Rb 634“. Auf etlichen anderen Möbeln des „Reichsbankmöbel“-Konvoluts finden wir weitere „Rb“-Nummern. Wir vermuten, dass „Rb“ für „Reichsbank“ steht. Unklar ist, wann diese Nummern auf die Objekte geschrieben wurden: Ob nach dem Zweiten Weltkrieg, etwa anlässlich des Transports in das Märkische Museum, oder bei der Ankunft im Märkischen Museum. Es scheint sich um eine fortlaufende, wenn auch hier nur lückenhaft vorliegende Zählung zu handeln: Die niedrigste „Rb“-Nummer im Konvolut ist „Rb 148“, die höchste „Rb 1272“. Kann es sich womöglich um mehr als 1.000 Gegenstände handeln, die zu dem Reichsbankmöbel-Bestand gehörten? Dann wäre es vielleicht möglich, dass auch in anderen Museen und Sammlungen sich Möbel mit „Rb“-Nummern fänden.

Alle Merkmale werden fotografisch festgehalten und die Fotos und Aufschriften im Datensatz zum Objekt in der Museumsdatenbank genau dokumentiert. Je umfangreicher die Sammlung solcher Provenienz-Merkmale ist und je besser die Daten dokumentiert und zugänglich gemacht werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass andere Forschende diese Informationen und Objekte finden. So können womöglich neue Zusammenhänge zwischen den zahlreichen über die Welt verstreuten Objekten rekonstruiert werden.

Die Stempel geben Auskunft

Möbelexpertinnen des Stadtmuseums Berlin und auch externe Spezialist:innen für französische Möbelkunst haben die Kommode und die weiteren Möbel in Augenschein genommen und verschiedene Stücke als authentische französische Möbelstücke des 18./19. Jahrhunderts eingeschätzt. Einige davon lassen sich bekannten Möbeltischlern (Ebenisten) anhand eingebrannter Namensstempel (Brandstempel) zuordnen.

Die Anet-Kommode trägt zwar keinen Herstellerstempel (Ebenistenstempel), dies ist aber nicht unüblich für die Zeit. Die möbelhistorische Untersuchung versucht daher, anhand der Bauart und Kunstfertigkeit der Einlegearbeiten andere ähnliche, so genannte Vergleichsstücke zu ermitteln. Entsprechend der Mode der Zeit wurden Möbel oft auch paarweise gefertigt, etwa um eine symmetrische Aufstellung im Raum zu ermöglichen. Die Kreideaufschrift „No I“ auf der Rückseite der Anet-Kommode könnte so ein Hinweis sein, dass es zur Zeit des Transports der Kommode vielleicht noch ein Gegenstück gegeben hat. Dies ist jedoch eine bislang ungesicherte Annahme. Um ähnliche Möbel zu finden und den Hersteller näher eingrenzen zu können, wurde eine Vielzahl an Möbelfachliteratur gesichtet, auch Ausstellungs- und (Online-)Auktionskataloge. Für eine größere Gruppe an Möbeln aus den „Reichsbankmöbeln“ wurden wir bei dem Pariser Traditionsunternehmen Maison Jansen fündig, das einzelne Modelle bis heute anfertigt.

Die Anet-Kommode können wir derzeit nur über den Brandstempel dem Schloss Anet zuordnen. Expert:innen vermuten aufgrund der Korpus-Gestaltung und der Machart der floralen Einlegearbeiten (Marketerien), dass die Kommode womöglich als eine Zusammenarbeit der französischen Kunsttischler Jean-Pierre Latz (1691 – 1754) und Jean-François Oeben (1721 – 1763) gefertigt worden sein könnte. Belege hierfür – etwa als Einträge in Werkverzeichnisse – haben sich bislang noch nicht gefunden. Die französische Abstammung der Kommode ermöglichte aber einen anderen interessanten Fund: Die Kommode ist im „Répertoire des biens spoliés (Verzeichnis enteigneter Güter) abgebildet, was uns zu einem der Pariser Vorbesitzer führt.

Die Pariser Vorgeschichte

Während der Zeit der deutschen Besatzung (Juni 1940 – August 1944) war Frankreich in zwei Gebiete aufgeteilt: Nordfrankreich stand unter deutscher Militärverwaltung, Südfrankreich wurde von der französischen Vichy-Regierung verwaltet. Die Übertragung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft auf die besetzten französischen Gebiete führte zu einer Ausweitung der Entrechtung und Vertreibung jüdischer und anderer Minderheiten und zu einem systematischen Kunstraub enormen Ausmaßes. Um diese in Frankreich entzogenen und vermissten Kulturgüter zu dokumentieren, wurde ein Verzeichnis jeglichen außerhalb des französischen Territoriums verbrachten Kulturguts erarbeitet („Répertoire des biens spoliés en France durant la guerre 1939-1945“, kurz: RBS).

Das Verzeichnis wurde zwischen 1947 und 1949 in acht Bänden plus Zusatzbänden („Suppléments“) veröffentlicht: Der Kunsthandel, wie auch Museen, sollten Nachschlagewerke an die Hand bekommen zur späteren Identifizierung des in Frankreich vermissten Kulturguts, sollte diese in den Handel gelangen. Das französische Zentralbüro für Rückgaben („Bureau Central de Restitutions“, BCR), installiert in Berlin, bearbeitete ebenfalls die beim Amt für Privateigentum und -interessen („Office des biens et intérêts privés“, OBIP) in Paris von Privatpersonen als auch von Händler:innen eingereichten Suchmeldungen und Erklärungen über vermisste, entzogene oder aus Frankreich verbrachte Kulturgüter. Die Mitarbeitenden des OBIP reisten dabei durch das ehemalige Deutsche Reich auf der Suche nach vormals französischen Kulturgütern.

Die Bände sind nach Gattungen sortiert und listen neben der OBIP-Aktennummer und einer Kurzbeschreibung auch Vorbesitzer:innen („Melder“) auf. Manchmal enthalten die Einträge auch historische Fotografien. Diese sind für die Provenienzforschung besonders hilfreich. Häufig lassen sich hierüber Objekte eindeutig identifizieren, so auch im Fall der Anet-Kommode:

Ausschnitt aus dem Répertoire des biens spoliés, Zweiter Ergänzungsband zu den Bänden II, III et IV (1948), S. 67.
Anet-Kommode, Bild Nr. 1076 im Fotoanhang des Répertoire des biens spoliés, Zweiter Ergänzungsband zu den Bänden II, III et IV (1948), o. S. [nach S. 73].

Die Nennung des Vorbesitzers „B. Fabre et Fils, Paris“, einem etablierten Antiquitätenhandel, im RBS führte uns zu den OBIP-Akten in den Archives diplomatiques in Paris, auf deren Grundlagen das RBS-Verzeichnis damals erstellt wurde: Die Fabre-Dokumente dort, und auch Gerichtsakten in den Archives de Paris, geben einen ersten Eindruck vom Umfang des Handels mit der Reichsbank.

Verkauft an Herrn Dr. Wolf[f] für die Reichsbank Berlin: 24. Januar 1941 – 27.561 – 1 große Kommode in geschwungener Form mit Blumen- und Vogelintarsien auf der Vorderseite und an den Seiten. Die Kommode ist mit ziselierten und vergoldeten Bronzeeinfassungen, -stürzen und -schuhen verziert. Das Ganze aus der Epoche Louis XV. Francs 200.000.-
© Archives du ministère des affaires étrangères, 209 SUP RA652 Dossier 43.060 (Fabre et Fils)

Auch belegt das Papier, dass Reichsbank-Baudirektor Heinrich Wolff (1880 – 1944), der Architekt des neuen Erweiterungsbaus der Reichsbank, als Einkäufer mit Reichsbank-Budget in Paris tätig war. Es zeigt sich, dass die Kommode wie auch ein Großteil der übrigen „Reichsbankmöbel“ offenbar für den Umbau und die Neuausstattung der Repräsentationsräume der (alten) Reichsbank in Berlin um 1942 vorgesehen waren. Ein neuerlicher Umbau des Erweiterungsbaus nach dem Zweiten Weltkrieg führte dann zur Überweisung der Möbel an das Märkische Museum.

Nach dem Ende der deutschen Besatzung und der Befreiung Frankreichs mussten sämtliche Kunsthändler:innen, die „Handel mit dem [deutschen] Feind“ betrieben hatten, in diesen so genannten „Profits illicites“-Gerichtsverfahren den Umfang und das Ausmaß ihrer Tätigkeiten darlegen. Ihnen wurde vorgeworfen, unerlaubte Profite („profits illicites“) durch Handel mit dem Feind gemacht zu haben. Das gesamte Händler:innen- und Vermittler:innen-Netzwerk, das mit der Reichsbank zusammengearbeitet hatte, fand sich – wie Dutzende andere Pariser Kunsthändler:innen und Inneneinrichter:innen – vor Gericht wieder. In den meisten Fällen wurden hohe Geldstrafen und Rückzahlungen an den französischen Staat verhängt.

In anderen Fällen konnten die zunächst sichergestellten, zu Kriegsende bestehenden Kunstwarenbestände wieder abgeholt werden. Die Akten zu Fabre werden dazu aktuell ausgewertet. Aus Sicht Fabres belegen sie einen eindeutigen bewussten Verkauf an die Reichsbank in Berlin und lassen auch keine Abwertung der Preise erkennen. Auch gab es keine Rückforderungen oder Ansprüche von Seiten Fabres nach dem Krieg auf die an die Reichsbank verkauften Möbel. Daraus lässt sich vorerst schließen, dass die Möbel nicht zu einer möglichen Privatsammlung Fabres, sondern zum regulären Warenbestand der Antiquitätenhandlung gehörten. Bisher ungeklärt ist – und da setzen weitere Forschungen an – wie und aus welcher Quelle die Anet-Kommode in den Warenbestand Fabres gelangte.

Erst wenn die Geschichte der Kommode bis vor die Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zweifelsfrei geklärt ist, also mindestens bis vor 1940 bzw. 1933, idealerweise bis zu ihrer Entstehung zweifelsfrei geklärt ist, kann das Eigentum an der Kommode als unbedenklich gelten.

Um den Arbeitsstand und Forschungsbedarf in Museen, Sammlungen und im Kunsthandel kennzeichnen, überblicken und planen zu können, ordnet die Provenienzforschung Objekte farblich in ein so genanntes Ampelsystem zur Provenienzbeurteilung ein: „Grün“ steht für unbelastete Objekte mit lückenloser Herkunft bei der ein unrechtmäßiger Entzug ausgeschlossen werden kann. „Gelb“ und „Orange“ stehen für Objekte mit weiterem Forschungsbedarf auf Grund von Herkunftslücken oder bekannt gewordenen Zusammenhängen mit möglicherweise unrechtmäßigem Entzug („unklar“/“Verdachtsmomente“). „Rot“ steht für Objekte, für die eindeutige Belege vorliegen, dass sie unrechtmäßig entzogen und aktuell in unrechtmäßigem Besitz sind. Für diese Objekte muss nicht nur die Herkunft dringend weiter erforscht werden, es muss auch eine Meldung in der Lost Art-Datenbank erfolgen. Auch wird aktiv nach heute (Erb-)Anspruchsberechtigten gesucht.
 
Das Ampelsystem entwickelte sich aus der bislang vorherrschenden Provenienzforschung zu historischen Entzugskontexten des Nationalsozialismus (1933-1945). Inzwischen hat sich das Forschungsgebiet aber auch auf koloniale Entzugskontexte (19.-20. Jahrhundert) und Entzugskontexte aus der Nachkriegs- und DDR-Zeit (1945-1990) ausgeweitet. Die „Ampel“ wird hier entsprechend angepasst verwendet.

Die Provenienz der Anet-Kommode ist aufgrund ihrer Einordnung weiter zu überprüfen.

Schloss Anet

Das Schloss Anet wurde in den Jahren 1547 bis 1555 im Auftrag des französischen Königs Henri II. (1519-1559) nach Entwürfen des Architekten Philibert Delorme (1510-1570) als dreiflügelige Anlage mit einem weitläufigen Garten- und Parkgelände erbaut. Im 18. Jahrhundert, der vermuteten Bauzeit der Anet-Kommode, war das Schloss im Besitz des Duc de Penthièvre, der 1793 verstarb. Danach gab es diverse Besitzer:innen-Wechsel und Umbauten. Eine eindeutige Zuordnung eines Zimmers, in dem die Anet-Kommode gestanden haben könnte, ist schwierig. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Schloss Anet in Familienbesitz, von der Original-Anlage ist nur noch ein Trakt erhalten. Das Schloss wird privat bewohnt.

Lesetipp

Erfahren Sie hier mehr über die Provenienzforschung zum „Reichsbankmöbel“-Bestand

Stadtmuseum Berlin unterwegs

Die Anet-Kommode ist vom 22. März 2024 bis 26. Januar 2025 in der Ausstellung „Kunst als Beute. 10 Geschichten“ im Humboldt Forum zu sehen.