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Fontane an seinem Schreibtisch, 1894
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Zander & Labisch

Der lange Weg der Fontane-Manuskripte

Immer wieder taucht seit Ende des Zweiten Weltkrieges verschollenes Museumsgut auf. Auch wertvolle Manuskripte von Theodor Fontane (1819 – 1898), die sich seit 1902 im Besitz des Märkischen Museums befanden, sind erst nach Irrungen und Wirrungen ins Museum zurückgekehrt.

von Bettina Machner

Im März 1892 setzen Emilie und Theodor Fontane in ihrem gemeinsamen Testament fest, dass die länger lebende Person in der Paarbeziehung allein über das Familieneigentum verfügen soll. Ursprünglich wollte der Dichter, dass alle unveröffentlichten Manuskripte nach seinem Tode vernichtet werden. Ein Freund des Sohnes Theodor jr. überzeugt ihn jedoch davon, der Familie diese Einnahmequelle zu belassen. So setzt das Paar eine Nachlasskommission ein, die nach beider Tod über „Verwerthung oder Vernichtung“ des handschriftlichen Nachlasses entscheiden soll. Über Manuskripte bereits veröffentlichter Fontane-Werke, die der Dichter in seinem Schreibtisch aufbewahrt, steht jedoch nichts im Testament.

Fontanes Arbeitszimmer in der Potsdamer Straße (Aquarell), Marie von Bunsen, 1898
© Stadtmuseum Berlin

Nach dem Tod Fontanes am 20. September 1898 veranlasst die Direktion des Märkischen Provinzial-Museums, am Wohnhaus der Familie in der Potsdamer Straße 134c (nahe Weinhaus Huth) eine Gedenktafel für den Dichter anzubringen – wohl auch, um sich bei der Witwe für Material aus dem Dichternachlass zu empfehlen. Tatsächlich verhandelt Emilie mit der Museumsleitung über die Übereignung von „Erinnerungsstücken“ ihres Mannes, darunter sein Schreibtisch samt Schriftstücken.

Schenkung ans Märkische Museum

Am 18. Februar 1902 stirbt Emilie Fontane, und Sohn Friedrich übergibt dem Museum die vereinbarte Schenkung, die auch Schreibsessel, Tintenfass und andere Utensilien des Dichters umfasst. Am 27. März dankt die Museumsleitung den Erben schriftlich „für die Erinnerungen an Theodor Fontane“. Zur Herkunft vermerkt das Inventarbuch: „Von den Theodor Fontane’schen Erben auf Grund des letzten Willen des Dichters dem Märkischen Museum geschenkt, dazu: die Manuskripte seiner schon gedruckten Werke, die im Schreibtisch liegen.“ Als 1908 das neu errichtete Märkische Museum eröffnet wird, ist ein Fontane-Gedenkraum mit Originalstücken aus seinem Besitz fester Bestandteil der Ausstellung.
Das „Fontanezimmer“ im Märkischen Museum, 1908
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Ernst von Brauchitsch

Verstreut in alle Winde

Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges muss das Museum schließen. In Holzkisten verpackt, wird das Museumsgut zum großen Teil in die Kellergewölbe gebracht. Kurz vor Kriegsende wird das Gebäude zu 80 Prozent zerstört, der Keller überschwemmt. Daraufhin wird das Depot geräumt. Viele Objekte gelangen nach Groß-Lübbenau im Spreewald. Andere werden in Depots ausgelagert, die nach der Kapitulation 1945 auf polnischem Gebiet liegen werden. Kisten mit Fontane-Handschriften kommen so vermutlich ins brandenburgische Schloss Raduhn nahe Chojna (damals Königsberg in der Neumark).

Wiederaufbau des zerstörten Märkischen Museums, um 1951/52
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Erich Jaros
1948 werden in den Trümmern des Museums unerwartet Fontane-Handschriften wiederentdeckt. Am 8. Juli meldet die Neue Zeit: „Aus dem Schutt des Märkischen Museums sichtete jetzt der Direktor Dr. Stengel die Originalhandschriften Fontanescher Romane.“ Die Durchsicht der im Keller verstreuten Blätter ergibt, dass etwa die Hälfte der einst vorhandenen Handschriften fehlt. Der Verlust ist für die Fontane-Forschung unermesslich, denn damit sind nicht nur die handschriftlichen Druckvorlagen verloren: Der besondere Wert liegt in den Rückseiten, was sich aus der Arbeitsweise des Dichters erklärt.

Was die Rückseiten verraten

Theodor Fontanes Werke entstehen durch immer neues Entwerfen und Verwerfen. So enthält das „Effi Briest“-Konvolut mehrere Entwürfe ein und desselben Kapitels. Fontane schreibt mit schwarzer Tinte und korrigiert mit Blei-, Blau- und Rotstift, ganze Abschnitte streicht der Dichter, fügt verworfene Teile wieder ein, schneidet fertige Passagen aus und klebt sie an die gewünschte Stelle. 

Die Manuskripte sind für Fremde kaum zu entziffern und als Druckvorlage denkbar ungeeignet. Deshalb gibt Fontane die vermeintlich letzte Fassung meist seiner Frau Emilie zur Abschrift. Oft überarbeitet er auch diesen Text erneut und Emilie muss ihn nochmals abschreiben. Ist Fontane zufrieden, verpackt er das abgeschriebene Manuskript in Zeitungspapier und legt es, versiegelt und beschriftet, in eines der zahlreichen Schubfächer an der Rückseite seines Schreibtisches.

Der Stechlin, Kapitel 33, Rückseite von Blatt 8
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Bettina Machner
Die Rückseiten einseitig beschriebener Blätter nutzt Fontane häufig als Konzeptpapier. Zettel mit alltäglichen Notizen, Briefentwürfen, aber auch mit Vorarbeiten zu seinen Werken und verworfenen Textversionen legt er mit der beschriebenen Seite nach unten zur Wiederverwendung auf seinen Tisch. Darum stehen Vorder- und der Rückseiten beidseitig beschriebener Blätter in keinem inhaltlichen Zusammenhang. 

Rückkehr in Raten

Erst dreißig Jahre nach Kriegsende kommen Teile ausgelagerter Werkmanuskripte von Theodor Fontane wieder nach Berlin: Im Januar 1975 erhält das Märkische Museum ca. 1.400 Blatt vernichtet geglaubte Dokumente zurück. Im Jahr darauf berichtet das Jahrbuch des Märkischen Museums: „Unlängst kehrten aus der Volksrepublik Polen einige Bestände in unser Museum zurück, die im Verlaufe der Kriegsjahre in unbekannte Depots polnischer Gebiete verlagert wurden.“

Im Frühjahr 2000 folgt eine weitere Überraschung: Die Stiftung Stadtmuseum Berlin, zu der seit ihrer Gründung 1995 das Märkische Museum gehört, erhält vom Landesarchiv Berlin die Mitteilung, dass bei einer Inventur Archivalien des Märkischen Museums gefunden wurden, die ihm im Rahmen der Rückführung aus Polen versehentlich nicht übergeben worden waren.

Am 10. Mai 2000 übernimmt das Stadtmuseum fünf Kartons mit Sammelkästen, die 144 Manuskriptbündel des ehemaligen Märkischen Provinzial-Museums enthalten, darunter ein „Fragment eines geschichtswissenschaftlichen Werkes, Handschrift“. Groß ist das Erstaunen als sich herausstellt, dass es sich dabei auch um Teile verschiedener Prosaniederschriften Theodor Fontanes handelt. Alle 300 Blatt, etwa ein Drittel davon beidseitig beschrieben, können identifiziert und den im Bestand der Sammlung zur Literaturgeschichte erhaltenen Manuskripten zugeordnet werden.

„Unterm Birnbaum“ vor der Restaurierung: Kapitel 4, Rückseite Blatt 26 und Blatt 27
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Bettina Machner
Mit der Rückführung sind große Teile aller verloren geglaubten Manuskripte wieder im Museum. Doch die Handschriften (fachsprachlich Autografen bzw. Autographen) sind dringend restaurierungsbedürftig. Im Jahr 2011 finanzierte der Berliner Aufbau Verlag die Restaurierung und Digitalisierung des stark beschädigten Manuskripts „Stine“. 2014 konnten dank finanzieller Unterstützung durch die Fontane Gesellschaft und die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts (KEK) die Manuskripte „Graf Petöfy“, „Unterm Birnbaum“, „Die Poggenpuhls“ und „Der Stechlin“ wieder nutzbar gemacht werden. Brüchige Seiten wurden auf transparentem Trägerpapier fixiert und aufgeklebte Korrekturzettel gelöst, sodass darunter verborgene Schrift erstmals zugänglich wurde.

Im Jahr 2015 wurden die fertiggestellten Dokumente mit Hilfe eines hochauflösenden Auflichtscanners digitalisiert – ein aufwendiges Verfahren, das nur mit Hilfe von Spenden realisiert werden konnte. Der gesamte, ca. 9.000 Blatt umfassende handschriftliche Bestand aus dem Nachlass Theodor Fontanes wurde der Forschung in vollem Umfang zugänglich gemacht.

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