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Aufgeklappter Kutschenkoffer
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Luise Tschirner

Truhe, Kasten, Lade oder Koffer?

Seit 1903 befindet sich ein Kutschenkoffer aus adligem Besitz in der Sammlung des Stadtmuseums Berlin. Im Zuge einer Masterarbeit im Fachbereich der Konservierung und Restaurierung von archäologisch-historischem Kulturgut an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin wurde der Koffer erstmals erforscht.

von Luise Tschirner

Unter der Fragestellung „Truhe, Kasten, Lade oder Koffer?“ wurde der Kutschenkoffer aus der Möbelsammlung des Stadtmuseums Berlin mithilfe materialtechnologischer und kunsthistorischer Untersuchungen typologisiert. Zusätzlich wurde ein Konservierungs- und Restaurierungskonzept für einen langfristigen Erhalt erstellt. Die wissenschaftliche Arbeit trug zu einer Wertsteigerung des Objekts innerhalb der Sammlung des Stadtmuseums Berlin bei.

Das Objekt: der Koffer

Die Haare des Seehundfells sind fast gänzlich durch Alterung, Abnutzung und Fraßschäden von Insekten verloren, weshalb der Fellbezug nicht mehr wie Fell, sondern vielmehr wie Leder erscheint. Eisenbänder, ein Schloss und eine Vorhangschlosssicherung sichern das Behältnis. Der Innenraum weist eine mehrfarbige Papierauskleidung auf. Die Deckelkanten beherbergen einen Spritzschutzstreifen aus Textil und Leder. Ein Zollsteuersiegel sowie weitere vier Siegel mit Löwendarstellung sind auf dem Deckel aufgebracht.

Die Anordnung der vier Siegel mit teils darunterliegendem Gewebe und eckigen Ausbrüchen lassen vermuten, dass sie jeweils die Ecken eines Kuverts fixiert haben könnten. Ebenso ist das Vorhandensein einer Schnur vorstellbar, das unter dem Siegel mit dem Schriftzug „Zollsteuer“ auflag und zur Verschnürung des Koffers diente. Der Koffer wurde in und um Berlin genutzt, was sich durch die Beschriftung „Berlin No. 3“ unter dem Boden bestätigen lässt.

Auszug aus dem Inventarbuch des Märkischen Provinzialmuseums und Ansichtskarte mit Kurfürstenbrücke (heute Rathausbrücke) und Preußischen Postkutsche um 1830
© Stadtmuseum Berlin

Historischer Kontext

Mithilfe von Adelslexika, Sterberegistereinträgen und alten Berliner Adressbüchern konnten der historische Kontext und die Aufenthaltsorte der letzten Eignerin teilrekonstruiert werden. Dorothea von Eickstedt (1825 – 1908), geborene Sixtus, war mit einem preußischen Major verheiratet, der regelmäßig seinen Standort wechselte und in Cöln, Posen, Spandau, Minden, Breslau arbeitete. Das Ehepaar wird vermutlich häufig seinen Wohnsitz geändert haben und mit der Kutsche gereist sein. Dass der Koffer für Dorothea von Eickstedt von persönlichem und historischem Wert gewesen sein muss, ist anzunehmen. Im Alter von 78 Jahren, fünf Jahre vor ihrem Tod, übergab sie ihn dem Märkischen Provinzialmuseum mit der angenommenen Absicht der dortigen Bewahrung für weitere Jahrzehnte. Hier überstand er zwei Weltkriege und wird seit nunmehr 120 Jahren in der Sammlung verwahrt.

Reisen mit der Postkutsche

Das so genannte Zeitalter der Postkutsche begann nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges Mitte des 17. Jahrhunderts und setzte sich bis zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fort. Historische Aufzeichnungen und Reisetagebucheinträge belegen das Reisen in der Kutsche als langwierig, strapaziös und kostspielig. Ab dem 17. Jahrhundert waren Reisende vermehrt in öffentlichen oder privaten Verkehrsmitteln unterwegs, wofür diverse Wagen- oder Kutschentypen gefertigt wurden. Die Masse an Modellen ist groß, wie die diversen Namen erahnen lassen: „Berline“, „Droschke“,„Landauer“, „Fiaker“, „französische Diligence“ und „Kalesche“ und später auch „Omnibus“. Das mitgeführte Gepäck war eingeschränkt. Es galt, sich an den Freibetrag zu halten, um Kosten für Übergepäck zu vermeiden. Zusätzlich zum Fahrpreis fielen weitere Gebühren an, wie Zollsteuer, Pferde-, sowie Chaussee- und Brückengeld. Nicht selten musste auch Schmiergeld gezahlt werden.

Objekterhalt als Ziel

Die Konservierung  und Restaurierung zielen auf einen Substanzerhalt durch sichernde Maßnahmen ab. Es soll weiterem Verfall entgegengewirken, indem Materialabbau und Korrosionsfortschritt verlangsamt oder gehemmt werden. Die Bewahrung des authentischen Erscheinungsbildes  und Erhöhung der Lesbarkeit des Objektes wird angestrebt.
Materialkartierung Detail Schmalseite
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Luise Tschirner
Technische Zeichnung des Kutschenkoffers
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Luise Tschirner

Unter der Lupe: Voruntersuchungen

Das Mikroskopieren ist der erste Schritt der Objekterfassung. Die Materialien am Objekt können damit untersucht und optisch bestimmt werden. Bei Leder hilft das für jedes Tier charakteristische Narbenbild. Auch bei Textilien lassen gewisse Erscheinungsmerkmale auf die Pflanzenart schließen. Stark abgebautes Material historischer Objekte erschwert jedoch oft die Identifizierung. Zu Hilfe können dann besondere Mikroskope wie das stark vergrößernde Rasterelektronenmikroskop genommen werden. Mittels Mikroskopie können auch Abbauphänomene der einzelnen Materialien wie etwa Korrosion an Metallen oder Insektenfraßschäden an Organik wie Leder untersucht und dokumentiert werden. Den Restaurator:innen dient das Mikroskop zudem der besseren Sicht bei der Bearbeitung von Objekten. Verunreinigungen oder Korrosion können in geringem Umfang mit Feinwerkzeug entfernt werden.

Zusammenfügung mehrerer Röntgenaufnahmen
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Luise Tschirner

Einblick in Verborgenes

Als Tiefenuntersuchung des Objektes, insbesondere verdeckter Bereiche, wurden Untersuchungen mittels Röntgenstrahlung durchgeführt, die Aufschluss über die Konstruktion, Herstellungsweise und vorhandene, möglicherweise verborgene Bestandteile geben sollten. Die Auswertung der Röntgenbilder ergab ein aufschlussreiches Bild über die Vielzahl der verwendeten Metallelemente wie Beschläge oder Nägel. Die Diversität der Nägel und ihre Herstellung durch Schmieden wird ersichtlich. Schäden sowohl an den metallischen Bestandteilen als auch in der Metallsubstanz selbst liegen in geringem Maß vor. Ebenso ist die Holzstruktur der überwiegend verdeckten Wandungsbretter zu erkennen.

Die Untersuchung der Objektoberfläche unter Einsatz von ultravioletter Strahlung erfolgte mit einer UV-Handleuchte im Bereich von 365 Nanometer. Die Reaktion in Form von Fluoreszenz bzw. Photolumineszenz wurde fotografisch festgehalten. Im Vordergrund der Untersuchung steht die Differenzierung von Materialien durch charakteristische Fluoreszenz. Hierbei konnten diverse Details sichtbar gemacht werden wie beispielsweise der Unterschied zwischen zwei Siegeln roter Farbe, der Hinweise auf die Siegelmasse Wachs (rechts) oder Lack (links) gibt.

Typologisierung und Datierung

Das Behältnis wurde im Inventarbuch als „Kasten“ aufgenommen und 2021 als „Schatulle“ in der Datenbank aktualisiert. Dass diese Begrifflichkeiten zu allgemein oder gar unpassend erschienen, wurde nach einer detaillierten Recherche in diversen Sammlungen deutlich. Hiernach sprechen mehrere Faktoren für die Verwendung des Begriffes „Kutschenkoffer“: die Konstruktion und Form, die Verwendung in aktuellen Publikationen und Einschätzung von Fachkundigen. Aus derselben Recherche und Auflistung von insgesamt 28 Vergleichsobjekten konnte der Zeitraum der Datierung durch die für einen Kutschenkoffer charakteristischen Merkmale auf frühestens 1750, vielmehr 1780 bis 1800 geschätzt werden. Ob er demnach von Verwandten der Dorothea von Eickstedt oder ihres Ehemanns erworben und genutzt und anschließend an sie vermacht wurde, bleibt unbeantwortet.

Planung des Konservierungskonzepts

Maßnahmen der Reinigung, Flexibilisierung des teils verformten Lederbezugs und klebetechnischen Sicherung sollten getestet werden, um die am stärksten abgebauten Materialien Leder, Fell und Textil zu sichern. In Probereihen wurden mögliche Maßnahmen und Materialien wie Klebstoffe getestet und die Ergebnisse miteinander verglichen. Hierzu wurden zuerst Probekörper aus den gleichen Materialien, teils gealtert, hergestellt, bevor die am geeignetsten herausgestellten Methoden am Originalobjekt getestet wurden.

Probereihe Klebstoffe an Probekörper
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Luise Tschirner
Hier zu sehen ist eine Reihentestung von geeigneten Klebstoffen organischer und synthetischer Art auf einem Probekörper. Die Klebkraft und Veränderung der Materialien waren Auswahlkriterien. Probestücke aus Leder wurden mit einer Zwischenschicht aus Japanpapier auf Holz geklebt und die Klebkraft anschließend mittels Zugmessung bewertet. Chemische, physische Eigenschaften sowie die Langzeitstabilität der Klebesysteme war ebenfalls ausschlaggebend.

Die Flexibilisierung des partiell hochstehenden Lederbezugs erfolgte ebenso an Probekörpern, die mittels lokaler Befeuchtung ersichtlich flexibilisiert werden konnten und so zum erfolgreichen Einsatz am Originalobjekt führten.

Über die Autorin und das Projekt

Luise Tschirner ist Berlinerin und befasste sich in ihrer Masterarbeit im Studiengang Konservierung und Restaurierung im Schwerpunkt Archäologisch-Historisches Kulturgut an der HTW Berlin erstmals mit einem Objekt aus der Berliner Vergangenheit, das nicht als archäologisches Artefakt aus dem Boden geborgen wurde. Die Arbeit mit dem Titel Truhe, Kasten, Lade oder Koffer? Kunsthistorische und materialtechnologische Untersuchungen zur Typologisierung an einem historischen Behältnis mit besonderem Augenmerk auf den konservatorischen Maßnahmen an Leder erfolgte von Dezember 2021 bis Juli 2022 an der HTW Berlin. Das Stadtmuseum Berlin war Objektgeber und die am Stadtmuseum Berlin beschäftigte Holzrestauratorin Aileen Laska ihre Mentorin.

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