Ausflugsgaststätte am See (um 1920), Zeichnung (Bleistift, Aquarell) von Julie Wolfthorn (1864–1944)
© Stadtmuseum Berlin

Um Berlin (Teil 6)

Mit der Schaffung von Groß-Berlin im Jahr 1920 verfügte die Stadt über ein ausgedehntes Wald- und Seengebiet, das den Menschen der Metropole bis heute viele Möglichkeiten zur Erholung und Entspannung bietet. Über ein gut ausgebautes Nahverkehrsnetz war zum Beispiel der Grunewald als traditionelles Jagd- und Wandergebiet schnell zu erreichen.

Einen Eindruck von Ruhe und geistiger Vertiefung vermitteln zwei Zeichnungen von Jakob Steinhardt, der seine Frau Minni lesend im Wald und den Malerfreund Friedrich Feigl zeichnend am Großen Wannsee darstellte. In Julie Wolfthorns Aquarell versinkt eine Ausflugsgaststätte an einem See nahezu im herbstlichen Grün eines Waldes. „Bei Mutter Grün“ ist der Titel einer Lithografie von Hans Baluschek. Dieser Titel passt jedoch auch als Synonym für die tausenden Kleingärten und die Laubenkolonien, in denen sich viele Berliner:innen mit und ohne Familien erholten – und zugleich ihr eigenes Gemüse und Obst anbauten. Sinnbildlich dafür steht Hans Baluscheks gebrauchsgrafischer Entwurf für das Diplom des Reichsverbandes der Kleingartenvereine Deutschlands.

Bei Mutter Grün (um 1925), Lithografie von Hans Baluschek (1870–1935)
© Stadtmuseum Berlin

Hans Baluschek schildert in seiner keinem bestimmten Ort zuzuordnenden, gleichwohl auf Berlin bezogenen Darstellung eine für seinen sozialkritischen Ansatz charakteristische Situation: Erholungssuchende, dem Äußeren nach den arbeitenden bzw. unteren sozialen Schichten angehörend, haben sich unter schattigen Bäumen an einem Gewässer zusammengefunden. Ihren Alltag bestimmt die harte Arbeit, als deren Symbole die rauchenden Schlote der Fabriken am gegenüberliegenden Ufer erscheinen.  

Diplom des Reichsverbandes der Kleingartenvereine Deutschlands (um 1925), Farblithografie von Hans Baluschek (1870–1935)
© Stadtmuseum Berlin
Der Reichsverband der Kleingartenvereine Deutschlands wurde am 14. August 1919 in Bremen gegründet. Baluscheks Entwurf für das Diplom dokumentiert den Aufschwung des Kleingartenwesens in der Weimarer Republik. Die von Berliner Motiven inspirierte Darstellung weist auf die große Bedeutung hin, die die Laubenkolonien und Kleingärten für die Erholung und Selbstversorgung breiter Bevölkerungsschichten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts haben.

Der aus Prag stammende Maler Friedrich Feigl war mit seiner Frau ab 1910 für einige Jahre in Berlin ansässig. Steinhardt portraitierte den Freund und Künstlerkollegen anlässlich eines gemeinsamen Besuchs am Großen Wannsee. Hier ging Feigl einer beide verbindenden, erholsamen wie auch kreativen Tätigkeit nach, dem Zeichnen. 

In Röslers unspektakulärer Darstellung ist Berlin lediglich zu erahnen. Ein auf freiem Feld aufgestellter Mast einer Telefonleitung wirkt wie ein Vorbote künftiger Erschließung. Und tatsächlich sind im Hintergrund des Motivs Gebäude und Schornsteine als Symbole für Großstadt und Wachstum zu erkennen.

Ausflugsgaststätte am See (um 1920), Zeichnung (Bleistift, Aquarell) von Julie Wolfthorn (1864–1944)
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Das umfangreiche Werk von Julie Wolfthorn – 1898 Gründungsmitglied der „Berliner Secession“ und 1944 achtzigjährig im KZ Theresienstadt gestorben – wurde erst um 2000 wiederentdeckt. Ihr Aquarell zeigt ein stimmungsvolles Motiv aus dem Berliner Randgebiet. Unter dem herbstlich gelichteten Laubdach geht die Saison der von nur wenigen Gästen besuchten Ausflugsgaststätte an einem See ihrem Ende entgegen.

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„Um Berlin“: das Mappenwerk

Um Berlin, Teil 1: „Um Berlin“ ist der Titel eines des Mappenwerks von Rudolf Großmann aus dem Jahr 1912 und das Thema der darin enthaltenen Lithografien. Zugleich ist die Mappe eine wichtige Quelle und Namensgeberin für diese Online-Präsentation des Foto-Grafischen Kabinetts, an deren Beginn sie deshalb steht.

Schornsteine am Schienenstrang

Um Berlin, Teil 2: Schornsteine symbolisieren das rasche Wachstum der Industrie vom späten 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg. In dieser Zeit wurden zahlreiche Fabriken aus dem Zentrum Berlins in das Umland verlagert. Ermöglicht wurde dies durch die vielen schiffbaren Flüsse, Kanäle und Seen sowie durch das bereits vorhandene Eisenbahnnetz.

Häuser am Horizont

Um Berlin, Teil 3: Innerhalb weniger Jahrzehnte erfolgte bis in die 1930er Jahre eine bis dahin beispiellose Be- und Zersiedlung des Berliner Umlands – ein Vorgang, der sich seit der Wiedervereinigung 1990 wiederholt. Wie dynamisch dieser Prozess verlief, lassen die Motive der grafischen Blätter nur erahnen.

Der Charme der Vorstädte

Um Berlin, Teil 4: Bis 1920 gab es rund um Berlin sechs kreisfreie Städte mit eigener städtischer Infrastruktur. Jede von ihnen hatte ihren eigenen, unverwechselbaren Charme.

Vergnügen am Stadtrand

Um Berlin, Teil 5: Der Stadtrand bietet bis heute Ausgleichsmöglichkeiten zum Alltag in der Stadt. An den Wochenenden stand dafür um 1920 nur der Sonntag zur Verfügung, da der Samstag noch ein Arbeitstag war. Zahlreiche Attraktionen lockten die Berliner:innen hinaus.

Das Neue, Reizvolle, Unentdeckte

Um Berlin, Hintergrund: Nicht nur Fotografien zeugen von Berlins Aufstieg zur Metropole im frühen 20. Jahrhundert. Auch in Zeichnungen und Grafik finden sich vielfältige Zeugnisse für die rasante Entwicklung der Stadt. Zugleich bieten diese Arbeiten faszinierende Einblicke in eine Epoche künstlerischen Aufbruchs.