Das Portrait-Album der Ottilie von Graefe im Museum Knoblauchhaus
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Heiko Noack

Das Portrait-Album der Ottilie von Graefe

Das Selbstverständnis junger, bürgerlicher Frauen der Biedermeier-Epoche (1815–1848) dokumentiert ein erstmals ausgestelltes historisches Objekt: Das zwischen 1836 und 1863 entstandene Portrait-Album der Berlinerin Ottilie von Graefe (1816–1898) enthält Zeichnungen junger Frauen in Posen, die an heutige Selfies auf Instagram erinnern.

von Dr. Jan Mende

Das aufwendig gestaltete und liebevoll ausgeschmückte Album enthält 170 Portraits, entstanden in mehr als drei Jahrzehnten. Ottilie von Graefe schuf damit eine Galerie ihres Freundschaftskreises: meist etwa gleichaltrige, um 1820 geborene Frauen. Charakteristisch für die Portraits sind die Posen, in denen sich die modisch gekleideten Frauen präsentierten – ganz ähnlich wie heute auf Instagram und anderen Social-Media-Kanälen.

Viele der portraitierten Frauen waren Mitglieder des Kaffeter-Clubs, 1843 gegründet von Ottilie von Graefe und weiteren bürgerlichen oder adeligen Frauen, darunter zwei Töchter des Schriftsteller-Ehepaars Bettina (1785–1859) und Achim (1781–1831) von Arnim. Einmal in der Woche trafen sie sich, um über Musik, Kunst und Literatur zu sprechen, auch über eigene Werke. Der Club entwickelte sich zu einem gesellschaftlichen Freiraum. Er bot den unverheirateten jungen Frauen eine gewisse Ungezwungenheit außerhalb des gesellschaftlichen Erwartungsdrucks, dem sie sich in ihrer Epoche ausgesetzt sahen. Später wurden auch Männer zugelassen.

Über Ottilie von Graefe

Ottilie war die Tochter des Berliner Chirurgen und Augenarztes Carl Ferdinand von Graefe (1787–1840) und seiner Frau Auguste, geborene von Alten (1797–1858). Nachdem Ottilie ihre Verlobung mit dem Komponisten Friedrich Wilhelm Kücken (1810–1882) auf Druck der Eltern auflösen musste, heiratete sie 1847 den Diplomaten Hermann von Thile (1812–1889). Vielseitig interessiert, zeichnete sie und schrieb Gedichte. Einige davon wurden vertont, zum Beispiel in dem 1847 von ihrem früheren Verlobten Wilhelm Kücken veröffentlichten, romantischen Lied „Drei Worte“. Ottilies Bruder Albrecht von Graefe (1828–1870) wurde wie sein Vater als Augenarzt bekannt. Nach ihm ist der Graefekiez in Kreuzberg benannt.

Das Portrait-Album ist eine Leihgabe von Hyma zu Knyphausen und Ingolf von Graefe. Im Rahmen des Ausstellungsprojekts „Beziehungsweise Familie“ ist es vom 3. Oktober 2025 bis zum 6. April 2026 im Salon des Museums Knoblauchhaus zu sehen.

Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack

Ottilie von Graefe, Gemälde, unbekannte:r Künstler:in
© Stadtmuseum Berlin

Über die Ausstellung

Baron von Budberg mit seiner Familie, Berlin, 1858
© Stadtmuseum Berlin | Foto: unbekannt

Beziehungsweise Familie

Vater, Mutter, Kind? Überraschende Perspektiven auf das traditionelle Familienmodell in Vergangenheit und Gegenwart.

Sonderausstellung
03.10.2025 – 12.07.2026

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