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Michaela Dudley
© Michaela Dudley | Foto: Carolin Windel

„Entmenschlichung fängt mit dem Wort an – Emanzipierung aber auch“

Michaela Dudley ist Berliner Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln. In regelmäßigen Führungen durch die Ausstellung BERLIN GLOBAL spricht die Publizistin und Juristin über historische Ereignisse und aktuelle Themen – ob zum geteilten Deutschland, queerer Geschichte oder kolonialer Raubkunst. Wir haben ihr fünf Fragen gestellt.

von Sophie Eliot

Michaela, was ist typisch Berlin für Dich?

Die Salonfähigkeit der Saloppheit. Berlin ist ein Ort, an dem Aufbruch und Apokalypse dicht beieinander liegen. Berlin ist eine dufte Stadt. Auch ist sie für mich eine Stadt der Düfte. Der olfaktorische Sinn wird nur bisweilen etwas beansprucht. Ich denke da gleichzeitig an Blumen und an Bitumendämpfe. Aber auch wenn in der Sommerhitze dieser Asphalt-Dschungel alias Spree-Athen zu schmelzen beginnt, bleibt diese Stadt in fast jedem Kiez ein hartes Pflaster.

In Deinem Buch „Race Relations: Essays über Rassismus“ schreibst Du: „Das Licht der Welt erblickte ich im Schatten der Freiheitsstatue“. Was verstehst Du unter Freiheit?

Beim Thema Freiheit geht es mir um Licht und um Schatten. Ich wurde im Oktober 1961 geboren – 75 Jahre nach der Einweihung der Freiheitsstatue im Hafen von New York. Zu meinem Herkunftsland pflege ich zeitlebens eine Beziehung, die von einer Mischung aus Ambition und Ambivalenz geprägt ist. Wer rund sechs Jahrzehnte lang in meiner Haut steckt, vermag eben diese Zerrissenheit zu verstehen. Wer mich sieht, sollte es sofort begreifen können. Als Schwarze empfinde ich das Weiße gleichsam als blendend. Bisweilen erblindend. Drüben im Land der unbegrenzten Möglichkeiten lernte ich ein Leben der unmöglichen Begrenzungen kennen. Haben und Sein? Na ja, es war eher Haben und Schein.

Als ich als Kind zum ersten Mal die Statue of Liberty bestieg, stand ich oben plötzlich vor einer Absperrung. Seit 1916 darf niemand mehr die Fackel-Plattform betreten aufgrund eines Sprengstoffanschlags deutscher Saboteure während des Ersten Weltkrieges. Die Tatsache, dass die Fackel für ein kleines Schwarzes Kind nicht erreichbar war, ist für mich ein Sinnbild, das für die Unerreichbarkeit der Freiheit steht. Freiheit ist für mich traumhaft. Man haftet dafür, Ansprüche auf den Traum hegen zu wollen. Dieser Traum ist für marginalisierte Menschen aber ein Alptraum.

Michaela Dudley

Michaela Dudley (geb. 1961, sie/ihr) ist eine Berliner Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln. Sie ist Publizistin, Kabarettistin, Diversity-Expertin und Juristin (Juris Dr., US). Ihr aktuelles Buch „Race Relations: Essays über Rassismus“ (Grüner-Sinn-Verlag) wird als eine lyrische Anleitung zur Antidiskriminierung gefeiert. Viele kennen sie von ihrer taz-Kolumne „Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel“. Sie schreibt auch für den Tagesspiegel bzw. den Queerspiegel, für das LGBTQ-Magazin Siegessäule, Missy Magazin, Rosa Mag und Die Zeit.

In unserer gemeinsamen Tandemführung betonst Du immer wieder, dass Du Mauern durchbrechen möchtest. Warum?

Um Brücken bauen zu können. Denn Mauern schaden mehr als dass sie schützen. Wer sich einmauert, gewährt sich letztendlich keinen Schutz. Im Jahr meiner Geburt wurde die Berliner Mauer gebaut. Am Tag meiner Geburt, dem 27. Oktober 1961, kam es in der Berliner Friedrichstraße zu einem 16-stündigen Showdown zwischen amerikanischen und sowjetischen Panzern. Ein älterer Cousin beim US-Militär schob Wache am Checkpoint Charlie. Diese geschichtlichen Ereignisse begleiten mich, haben Einfluss auf mein Leben.

Das Humboldt Forum gilt in manchen Kreisen als umstritten. Wie ist es für Dich dort eine Führung zu geben?

Die besondere Zusammenarbeit mit Stadtmuseum Berlin im Humboldt Forum ermöglicht es mir, meiner Kritik am Kolonialismus ein Forum zu geben. Im Rahmen der Tandemführung, wie auch in meinem Buch, erläutere ich den Zusammenhang zwischen dem geschichtlichen Berlin und dem heutigen Berlin. Stichwort Raubkunst. Ich nehme in der Führung kein Blatt vor den Mund. Denn, während man sich angeblich den Kopf über den Umgang mit dem Kolonialismus zerbricht, lagern in einigen der renommiertesten Museen Deutschlands noch immer die Schädel afrikanischer Menschen. Meine Kritik richtet sich an die Zustände der schleppenden Rückgabe. Auf mich macht der aktuelle Diskurs den Eindruck, als würde sich ein Räuber dazu erbarmen, ein paar Stücke seines Diebesguts an die ursprünglichen Besitzer:innen zurückzugeben, und um dann zu brüllen: Mehr aber nicht! Jetzt muss auch mal Schluss sein. Die heutigen Verantwortlichen in den Museen haben den Raub nicht verursacht, sie tragen aber dennoch die Verantwortung, die Rückgabe auch tatsächlich und vollständig durchzuführen.

Während Deiner Tandemführung geht es neben Deinen persönlichen Erfahrungen auch um Kolonialismus, Rassismus und intersektionalen Feminismus. Was möchtest Du Besucher:innen vermitteln?

In der Ausstellung BERLIN GLOBAL im Humboldt Forum vertrete ich mich selbst und die marginalisierten Communities, zu denen ich gehöre. Den Kontakt zu den Besuchenden mag ich sehr. Während wir gemeinsam durch die Räume gehen, entsteht oftmals eine respektvolle Intimität – trotz oder gerade wegen der intensiven Themen. Neben dem Austausch zwischen Dir, Sophie, und mir, kommt es meistens auch zu Gesprächen zwischen den Besuchenden und uns. Für mich ist es wichtig zu vermitteln, dass die Entmenschlichung mit dem Wort anfängt – die Emanzipierung aber auch. Wir, die Betroffenen, müssen das Wort führen. Meine Forderung ist, dass man uns zuhört, uns kennenlernt, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten.

Das Interview führte Sophie Eliot. Sophie Eliot arbeitet mit Schwerpunkt Outreach am Stadtmuseum Berlin und ist Projektleiterin der Diskursformate bei BERLIN GLOBAL.

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