„Koloniale Spuren“

2021/22 hat das Stadtmuseum Berlin mit fachlicher Unterstützung von externen Expert:innen eine Erstsichtung seiner Sammlungen auf koloniale Spuren unternommen. Dies ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer dekolonialen Museumspraxis und einer langfristigen Dekolonisierung des Museums und seiner Sammlungen. Die Erstsichtung war Teil eines vom Berliner Senat geförderten Pilotprojekts, an dem auch das Brücke-Museum und das Technikmuseum Berlin beteiligt gewesen sind.

von Kompetenzstelle DeKolonisierung

Die Stiftung Stadtmuseum Berlin bewahrt und pflegt in ihren Depots circa 4,5 Millionen Objekte zur Kultur und Geschichte der Stadt. Vor dem Projekt „Koloniale Spuren“ war diese umfangreiche Sammlung nicht auf das Thema Kolonialismus hin befragt worden. Bereits stichprobenartige Recherchen einer museumsinternen Projektgruppe zeigten: In den Sammlungen befinden sich zahlreiche Objekte, die im Zusammenhang mit der Geschichte des Kolonialismus stehen und von kolonialem Denken und Rassismus zeugen.

Pilotprojekt „Koloniale Spuren“

Ziel des Projekts „Koloniale Spuren“ war es, erste Sammlungsbereiche, Objektgruppen und Objekte zu identifizieren, die für eine weitere, tiefergehende Bearbeitung geeignet sein könnten. Dabei sollte es auch um die Fragen gehen,

  • wie mit kolonial-rassistischen Bildern und Begriffen in der Datenbank des Museums umgegangen werden soll.
  • wie Objekte, die von kolonialen Spuren zeugen, neu eingeordnet und beschrieben werden können.
  • und welche Objekte dem Museum fehlen, um die Geschichte der Kolonialmetropole Berlin erzählen zu können.

Zu Beginn des Projekts hat das Museumsteam gemeinsam mit der Kulturwissenschaftlerin Britta Lange in einem Workshop Themenfelder identifiziert, die für eine Sammlungssichtung auf koloniale Spuren von Interesse sein könnten. Der Begriff „Koloniale Spur“ wurde dabei als Arbeitsbegriff genutzt, der die Querverbindungen und Kontinuitäten des Themas deutlich machen sollte. Dabei war die Annahme, dass sich mögliche Spuren in der Sammlung des Stadtmuseums Berlin beziehen könnten auf:

  • koloniale Ereignisse und Kolonialpolitik der Reichshauptstadt Berlin
  • Akteur:innen und ihre Biografien sowie die Geschichte von Vereinen, Institutionen und Organen des Kolonialismus
  • Orte im Stadtgebiet, die mit kolonialen Akten und Erinnerung verbunden sind wie Denkmäler, Straßen oder Grabmäler
  • Zeugnisse kolonialer Handelsbeziehungen und -einrichtungen, etwa Kolonialwaren, Werbemedien oder Rohstoffe, die durch Handel nach Berlin kamen
  • Repräsentation, Rezeption und Medien des Kolonialismus
  • Zeugnisse kolonialer Strukturen in Alltagsleben und Haushalten Berlins
  • koloniale Wissenschaft, Begrifflichkeiten und Kategorien
  • Widerstand gegen den Kolonialismus

Erstsichtung

Für die Erstsichtung der Sammlungen auf koloniale Spuren konnten die Kulturwissenschaftlerin und Museumsforscherin Flavia Cahn, die Architektin, Kuratorin und Geschäftsführerin des Projekts „Dekoloniale“, Anna Yeboah, sowie die Stadtforscherin und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Instituts für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), Dr. Noa K. Ha, als externe Expertinnen gewonnen werden. Gemeinsam mit den Kolleg:innen aus den Sammlungen des Stadtmuseums Berlin unterzogen sie ausgewählte Sammlungsbereiche einer schlaglichtartigen Erstsichtung. Es handelte sich hierbei um die Bereiche Spielzeug, Zirkus – Kabarett – Variété, Dokumente, Fotografie, Theater, Grafik, Gemälde und Topografie.

Der Dialog zwischen externen Expert:innen und Sammlungsverantwortlichen war sehr gewinnbringend. Menschen mit unterschiedlichen beruflich-fachlichen und persönlichen Hintergründen und Expertisen kamen hier zusammen und stellten neue Fragen. Gemeinsam recherchierten sie in der museumsinternen Datenbank Daphne und in Sammlung Online des Stadtmuseums Berlin, aber auch direkt in den Depots, in denen die Objekte verwahrt sind und wo sie verwaltet werden. Die externen Expert:innen brachten vielfältige, für das Museum neue Wissensbestände mit. Die in den Sammlungen tätigen Kolleg:innen steuerten nicht zuletzt nicht-dokumentiertes Wissen über Objekte in den Sammlungen bei. So entdeckten die Projekt-Beteiligten einerseits bisher nicht bekannte Objekte und warfen andererseits neue Blicke auf bereits Bekanntes.

Was wurde gefunden und beobachtet?

Bei den identifizierten Objekten handelt es sich überwiegend um sogenannte Rezeptionsobjekte aus kolonialen Kontexten. Diese Objekte legen Zeugnis davon ab, wie die europäische Expansion im Allgemeinen und der deutsche Kolonialismus im Besonderen sowie die damit verbundene rassistische Ideologie Berlin geprägt haben und prägen. Das älteste Objekt datiert von 1700, das jüngste von 2008. Ein großer Teil der in diesem Projekt recherchierten Objekte stammt aus der Zeit des formalen deutschen Kolonialismus 1884 bis 1918. Gleichwohl finden sich viele interessante Objekte, die älteren oder jüngeren Datums sind. Die meisten Objekte wurden in Berlin hergestellt. Vielfach nehmen sie Bezug auf imaginierte Welten außerhalb Europas. Einige wenige Objekte weisen konkrete Bezüge zu (ehemaligen) deutschen und anderen Kolonien auf.

Viele der recherchierten Objekte sind Ausdruck kolonialer Propaganda und Denkmuster: so zum Beispiel Sammelbilder, Postkarten, Schulmaterialien, Schriften und Spielzeug. Vereinzelt finden sich Abbildungen von kolonialen Akteur:innen. Andere Objekte zeugen von der Alltäglichkeit des Kolonialen im (historischen) Stadtbild und Alltag. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Thema Kolonialwarenhandel, das sich in Papieren entsprechender Geschäfte, Fotos derselben wie auch in Kaufmannsläden für Kinder spiegelt. In den Sammlungen finden sich zudem Repräsentationen von BIPoC, so z.B. in Grafiken, Fotografien und Gemälden, aber auch in Form von Puppen oder Figuren verschiedener Art. Hierunter finden sich einige wertvolle Quellen, die Ausschluss über die Präsenzen von BIPoC in Berlin geben. Allerdings handelt es sich meist um rassistische, exotisierende und orientalisierende Darstellungen, die den weißen Blick spiegeln.

Hinweis

Die oben beschriebenen Formen der Objektdarstellungen berührt in besonderer Weise die Frage danach, ob und/oder wie solche Objekte auf der Website eines Museums sowie in seinen Ausstellungen gezeigt werden sollten. Derzeit entwickelt die Kompetenzstelle DeKolonisierung Strategien des Umgangs mit und der Präsentation von rassistischen Bild- und Textinhalten. Deswegen möchten wir aktuell darauf verzichten, hier solche Objekte zu zeigen.

Ausblick

Beim Abschlussworkshop des Projekts haben die externen Expert:innen sowie Vertreter:innen unseres Kooperationspartners DEKOLONIALE deutlich herausgearbeitet: Der Begriff der „kolonialen Spuren“ ist nicht angemessen. Er wird der Bedeutung der Geschichte des Kolonialismus für Berlin und seines Fortwirkens bis in die Gegenwart sowie der allgegenwärtigen, wenn auch nicht für alle immer unmittelbar sichtbaren Durchdringung des Alltags in der Stadt nicht gerecht. Vielmehr muss künftig konzeptionell die Kolonialität des Stadtmuseums Berlin, einer bis heute mehrheitlich weißen Institution, seiner Sammlungen und seiner Geschichtserzählungen in den Blick genommen und kritisch beleuchtet werden.

Das Projekt hat viele interessante Ergebnisse hervorgebracht. Erste Objekte und Objektgruppen, die für eine weitere vertiefende Bearbeitung interessant sein könnten, wurden definiert. Ein konkretes Forschungsprojekt (Afroamerikanische Bühnenkünstler:innen 1877-1933) bereits daraus entstanden.

Derzeit knüpft die Kompetenzstelle DeKolonisierung Kontakte zu interessierten Forscher:innen und lädt sie ein, sich aus dekolonialer Perspektive weiter mit der Sammlungen des Stadtmuseums Berlin auseinanderzusetzen.

Zudem haben Flavia Cahn, Anna Yeboah und Noa K. Ha Empfehlungen ausgesprochen, wie eine dekoloniale Sammlungsarbeit künftig aussehen könnte – darunter:

  • Fokus auf personenbezogene bzw. biografische Recherchen legen.
  • Zusammenarbeit mit Museumsexternen fortsetzen und die Öffnung der Sammlungsarbeit für dekoloniale Akteur:innen und BIPoC verstärken.
  • DeKolonisierungsprozesse in den Sammlungen und am Museum auch nach außen hin transparent machen.
  • eine Online-Strategie in Bezug auf Objekte aus kolonialen Kontexten entwickeln, unter anderem hinsichtlich rassistischer Begriffe und Bilder.
  • generell eine kritische Auseinandersetzung mit dem Sprachgebrauch in der Sammlungsarbeit, der Entwicklung entsprechender Standards sowie die Überprüfung und Anpassung der Verschlagwortung in der Sammlungsdatenbank fördern.
  • themenbezogene Forschung an der Sammlung stärken.

Die Ergebnisse des Projekts sind die Grundlage für die weitere Arbeit der Kompetenzstelle DeKolonisierung mit den Sammlungen der Stiftung Stadtmuseum Berlin.

Kompetenzstelle DeKolonisierung

Dekoloniale Museumspraxis entwickeln, erproben und langfristig in Institutionen zu verankern: Das ist das Anliegen der 2022 gegründeten Kompetenzstelle DeKolonisierung am Stadtmuseum Berlin.