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Paul Lincke, um 1895
Sammlung Stadtmuseum Berlin | Foto: August Scherl (Verlag)

Paul Lincke

Paul Lincke (1866 – 1946) gilt bis heute als Berlins populärster Komponist der leichten Muse. Mit der Lokal-Hymne „Berliner Luft“ setzte er seiner Geburtsstadt ein musikalisches Denkmal. Als sein Ruhm verblasste, ließ er sich bereitwillig vom nationalsozialistischen Regime vereinnahmen.

Paul Linckes eingängige Melodien im flotten Marschrhythmus strahlen echtes Berliner Kolorit aus, sie beschreiben den besonderen „Zauber von Berlin, wo nur die besten Sachen ziehn, wo man Radau macht Tag und Nacht und uns das Herz im Leibe lacht“, wie es in einem seiner Lieder heißt. In der Spätphase seines Lebens begab er sich jedoch auf ein politischess Parkett, das ihm am Ende ein Auftrittsverbot einbrachte.

Erste Schritte auf der musikalischen Laufbahn

Paul Lincke wurde am 7. November 1866 als Sohn des Magistratsdieners August Lincke und seiner Frau Emilie in der Berliner Holzgartenstraße 5 geboren, nahe der Jungfernbrücke, wo heute die Gebäude der Bundesbank stehen. August Lincke spielte neben seinem Hauptberuf Violine, womit er für seine Familie zusätzliches Geld verdiente. Doch nach seinem frühen Tod musste die Mutter Emilie allein für Paul und seine zwei Geschwister aufkommen.
Die Berliner Jungfernbrücke, 1904
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Max Missmann | Reproduktion: Christel Lehmann

Linckes Wunsch Militärmusiker zu werden, erfüllte sich nicht; sein Brustumfang entsprach nicht der vorgegebenen Norm. Doch in der bunten Theater-Landschaft Berlins fand der junge Fagottist 1884 am Central-Theater in der Alten Jakobstraße sofort eine Stelle als Orchestermusiker. Nur ein Jahr später saß er bereits als Begleit-Musiker (Korrepetitor) am Klavier des Ostend-Theaters in der Großen Frankfurter Straße (heute Karl-Marx-Allee). Dort lernte er die 16-jährige Sängerin (Soubrette) Anna Müller kennen, die er 1893 heiratete. Das Eheglück währte jedoch nur kurz, das Paar ließ sich schon nach wenigen Jahren wieder scheiden. 

Bewunderter Dirigent

Auch als Dirigent hatte sich Lincke bereits an verschiedenen Spielstätten einen Namen gemacht, als er 1893 dem Apollo-Theater in der Friedrichstraße empfohlen wurde. Als erster Kapellmeister war er dort auch als Komponist gefragt. Zu seinen Liedern und Einaktern schrieb Heinrich Bolten-Baeckers (1871 – 1938) die Texte. Sein guter Ruf als Dirigent brachte Paul Lincke in der Folge ein zweijähriges Engagement am berühmten Varieté Folies-Bergères in Paris ein, von dem er 1899 an sein Apollo-Theater zurückkehrte. Dort löste Linckes elegante Erscheinung am Dirigentenpult in Frack und Zylinder große Bewunderung aus. 

Paul Lincke erinnerte sich rückblickend an die Abende in diesem Haus: „Eine Premiere im Apollo-Theater, das war zu jener Zeit das größte gesellschaftliche Ereignis. Es flimmerte in den Logen und im Parkett nur so von Dekollteés, Brillanten, weißen Hemdbrüsten, Uniformen. Es war eine tolle Stimmung im Theater, noch bevor der Vorhang aufging. Dann kam ich, trat an das Dirigentenpult und hob den Taktstock, Aahs und Oohs, halb unterdrückte Ausrufe der Bewunderung gingen durch das Haus. So was hatte man noch nicht gesehen: Meine Hände steckten in schneeweißen Glacéhandschuhen! Das war wirklich noch nicht dagewesen, man applaudierte schon, bevor überhaupt der erste Ton der Ouvertüre erklang!“
Apollo-Theater in der Friedrichstraße 218, um 1900
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Max Missmann | Reproduktion: Christel Lehmann
Bildpostkarte „Erinnerung an ‚Frau Luna‘“, Apollo-Theater Berlin, 1899
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

„Frau Luna“

Am 1. Mai 1899 feierte Lincke im Apollo-Theater mit seinem Einakter „Frau Luna“ einen glänzenden Erfolg. Dieses Datum gilt seither als Geburtsstunde der Berliner Operette, deren musikalische Sprache dem traditionellen Gassenhauer nahe steht. Linckes zündende, leicht nachzusingende Melodien schlugen sofort ein. Auch das Schauspiel selbst versprach auf der opulent ausgestatteten Bühne beste Unterhaltung: Die Protagonist:innen – technikbegeisterte Berliner Kleinbürger:innen – reisen mit einem Ballon zum Mond.

Wenn heute auch der Großteil seiner etwa zwei Dutzend Bühnenwerke vergessen ist, so wurden doch viele Einzelnummern von Paul Lincke wahre Evergreens. Zahllose Bearbeitungen anderer Künstler:innen haben das „Glühwürmchen-Idyll“ aus der Operette „Lysistrate“ von 1902 unsterblich gemacht, auch Lieder wie die „Siamesische Wachtparade“, „Schenk‘ mir doch ein kleines bißchen Liebe“ oder „Nimm mich mit“ wurden zeitlose Erfolge.

„Donnerwetter – tadellos!“, Jahresrevue des Metropol-Theaters Berlin, Notenausgabe, Titelblatt, 1908
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

Revue-Triumphe am Metropol-Theater

Von 1905 bis 1908 war Lincke am Thalia-Theater in der Dresdener Straße (Kreuzberg) engagiert. Seither lebte er in diesem Stadtviertel, in der Oranienstraße 64, wo sich auch sein Apollo-Musikverlag befand. Er fing in seiner Musik den alltäglichen Rhythmus der Metropole ein, die Wünsche und Sehnsüchte der kleinen Leute, ihre Lust, sich zu amüsieren. Sein Marschlied, „Bis früh um Fünfe, süße Maus“ gab die Stimmung des pulsierenden Lebens im Vergnügungsviertel rund um die geschäftige Friedrichstraße wieder.

Schon seit 1903 amüsierte sich das vornehme Publikum im Metropol-Theater in Berlins Mitte bei so genannten Jahres-Revuen, satirisch-aktuellen Werken zu lokalen Ereignissen mit loser Nummernfolge, die der Hauskomponist Victor Hollaender (1886 – 1940) für die jeweilige Spielzeit schrieb. Paul Lincke, ab 1908 an dieser eleganten Bühne als Dirigent und Hauskomponist engagiert, meisterte auch dieses für ihn neue Genre bravourös, wie ein Presse-Artikel aus jener Zeit berichtet: Die Revue „Donnerwetter, tadellos!“ kam „mit einem Kostenaufwand von zweihunderttausend Mark heraus. Am Vormittag standen die Preise der schäbigsten Plätze auf hundert Mark. Das sind die Summen, auf die der Berliner stolz ist und die er gern weitererzählt. Die Auffahrt zum Theaterbeginn und die Abfahrt nach Schluß machte ein Aufgebot von Schutzleuten notwendig wie bei einem Fürstenbesuch“.

Zweiter Frühling mit „Frau Luna“ und NS-Staat

Um den Komponisten Paul Lincke war es in diesen Jahren still geworden. Obwohl im Herzen Monarchist, hatte er 1919 seinen „Völkerbundmarsch“ veröffentlicht. Doch die neuen Rhythmen der zwanziger Jahre – Foxtrot, Shimmy oder Jazz – blieben ihm fremd. So beschränkte er sich mehr auf Bearbeitungen. Aus „Frau Luna“ wurde ein abendfüllendes, zweiaktiges Werk, dem er auch das Marschlied „Berliner Luft“ aus der gleichnamigen Posse von 1904 hinzufügte.

Sein Ruhm war zwar noch nicht verblasst, entsprechend würdigte ihn seine Heimatstadt Berlin zum 60. Geburtstag 1926 als „echten Volksmusiker“. Inzwischen war es für ihn jedoch schwieriger geworden, Engagements als Dirigent oder hohe Gagen zu bekommen. Seine musikalische Sprache brachte eher das Lebensgefühl des vergangenen, kaiserlichen Berlins zum Ausdruck als das der Gegenwart, sein Publikum waren meist Menschen, die dem alten Reich nachtrauerten und – wie er – in der Weimarer Republik innerlich keine neue Heimat gefunden hatten . Dies nutzten die neuen, nationalsozialistischen Machthaber ab 1933 und umwarben Lincke für ihre Vorstellungen von Unterhaltungskunst. 

Beschwörung deutscher Stärke

Bereits 1924 hatte Lincke ein von ihm so betiteltes „Deutsches Lied“ komponiert, das angesichts der drückenden Lasten des Versailler Vertrags und der wirtschaftlich verheerenden Hyperinflation von 1923 deutsche Stärke beschwor. Darin hieß es, so ähnlich wie in dem vier Jahre zuvor verfassten „Sturmlied“ des rechtsextremen Publizisten und Verlegers Dietrich Eckart (1868 – 1923), „Deutschland, wach auf!“. So mag es nicht überraschen, dass Lincke „empfänglich für die Verheißungen und Verlockungen“ der vom Nationalsozialismus versprochenen „neuen Zeit“ war, wie Jan Kutscher in seiner 2016 erschienenen Biografie „Paul Lincke – Sein Leben in Bildern und Dokumenten“ befand.

Dies zeigte sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in weiteren Lincke-Komposition, etwa dem Marsch „Unsere braunen Jungs“, dessen Titel sich auf die „Braunhemden“ der nationalsozialistischen „Sturmabteilungen“ (SA) bezog, eine paramilitärische Kampforganisation der NSDAP. Auch sonst zeigte Paul Lincke, wie viele deutsche Kunstschaffende jener Jahre, keine Berührungsängste mit dem NS-Apparat. 1936 soll er Adolf Hitler (1889 – 1945) ein nicht erhalten gebliebenes „Führerlied“ gewidmet haben. Und von 1933 bis 1939 trat er als Dirigent bei zahlreichen Konzerten der Massen-Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) in Erscheinung, deren Hauptzweck in der „kulturellen Zerstreuung“ der Deutschen bestand.
SA-Männer – Linckes „braune Jungs“ – marschieren am 1. April 1933 mit antisemitischen Hetzplakaten durch eine Berliner Einkaufsstraße.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Heinrich Pöllot

Licht- und Farbenrausch

Am 16. Mai 1935 wurde „Frau Luna“ im seit 1934 so genannten „Theater des Volkes“ (dem später in Friedrichstadtpalast umbenannten Großen Schauspielhaus) inszeniert. Aus der zweiaktigen Operette war eine Revue in neun Bildern geworden, die eine außergewöhnliche Szenerie bot: Inmitten einer Wolkenprojektion stieg ein Flugzeug von der Bühne zum Mond auf.

Ein Jahr später, 1936, zog diese Mondrevue, für die kleinere Bühne entsprechend bearbeitet, in den Admiralspalast, das Revue-Theater am Bahnhof Friedrichstraße. Dort wurde Paul Lincke mit einer öffentlichen Festveranstaltung zum 70. Geburtstag geehrt, der auch Reichsminister Herrmann Göring (1893 – 1946) mit Ehefrau Emmy (1893 – 1973) beiwohnte. Das Publikum erlebte einen Rausch von Farben und Licht mit Tanzeinlagen der Admirals-Girls, die über Milchstraße und Mondkrater hüpften. Mit revuehaft prächtigen Bühnenbildern gelang unter der musikalischen Leitung des Komponisten eine brillante Aufführung.

Postkarte: Revue Frau Luna mit Paul Lincke im Theater im Admiralspalast, 1936
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann
Paul Lincke in seiner Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße 64, Berlin, um 1936
© Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann
Zu dieser Zeit war Linckes Nähe zum NS-Staat unübersehbar geworden. Fotos aus den 1930er Jahren zeigen ihn vor den mit Adolf-Hitler-Portraits geschmückten Wänden seiner Kreuzberger Wohnung. Ein Artikel im Programmheft zur Neuinszenierung seiner Operette „Casanova“ berichtete 1937 von „silbergerahmte[n] Bilder[n] des Führers und des Reichsministers Dr. Goebbels mit eigenhändigen, überaus herzlichen Widmungen“, die dort auf Tischen und Regalen standen.

Festvorstellung und Berliner Ehrenbürger

Die Aufführungs-Serie von „Frau Luna“ setzte sich 1941 mit einer Festvorstellung im „Theater des Volkes“ am Vorabend von Paul Linckes 75. Geburtstag fort. Diesmal im Publikum: Propagandaminister Dr. Joseph Goebbels (1897 – 1945). Dieser würdigte den Komponisten mit einem Ehren-Taktstock aus Elfenbein, Paul Lincke wurde zum Ehrenbürger Berlins ernannt. Als Geschenk der Organisation „Kraft durch Freude“ wurde ihm ein Gutschein für einen „KdF-Wagen“ überreicht, den er wahrscheinlich nie erhalten hat – genau wie Hunderttausende von „Volkswagensparern“ im NS-Reich.

Überhaupt blieben Lincke trotz der Ehrerbietung führender Nationalsozialist:innen die höchsten Weihen des Systems versagt: Mit der Komposition neuer Musik für die „junge Zeit“ beauftragte Goebbels lieber andere, „jung empfindende“ Künstler. Daran änderte auch nichts Linckes Duz-Freundschaft mit dem einflussreichen, Hitlers „Schutzstaffel“ (SS) angehörenden Kultur-Funktionär Hans Hinkel (1901 – 1960), zu dessen Aufgaben die Gestaltung des Unterhaltungsprogramms im Radio gehörte.
„Theater des Volkes“ (vormals Großes Schauspielhaus), umgebauter Zuschauerraum, ca. 1941
gemeinfrei
Werbekarte des Komponisten Paul Lincke unter Verwendung einer Aufnahme von Foto-Schreyer, Berlin-Steglitz, 1943
© Stadtmuseum Berlin

Das Ende in der Fremde

Ab Kriegsbeginn 1939 komponierte Lincke nach anfänglicher Kriegsbegeisterung immer seltener, seine Texte wurden schwermütiger. Seine letzte während des Krieges entstandene Komposition, das Soldatenlied „Einmal möcht‘ ich Dich noch wiederseh’n“, erschien 1942. Auch wenn er weiterhin erfolgreich als Dirigent auftrat, verschwanden Stücke wie „Unsere braunen Jungs“ aus seinem Repertoire. Im Juli 1943 folgte er einer Einladung ins böhmische Marienbad (damals Reichsgau Sudetenland, heute Mariánské Lázně, Tschechien), um dort eine Aufführung von „Frau Luna“ zu dirigieren. Während dieses Aufenthaltes wurde sein Berliner Wohnhaus bei einem Bombenangriff zerstört. So bleib er bis zum Kriegsende fern von Berlin in Marienbad.

Nach der deutschen Kapitulation 1945 zog Paul Lincke nach Franken, wo er erneut als Dirigent arbeitete. Schon im Dezember wurde er dort wegen seiner Rolle im NS-Staat in einem Presse-Artikel scharf angegriffen. Lincke wehrte sich energisch, konnte viele der Vorwürfe entkräften. Dennoch wurde er von den Alliierten mit einem Auftrittsverbot belegt, seine Werke mit einem Aufführungsverbot. Seit November 1944 hatte er auf einer Schwarzen Liste der britischen Abteilung für psychologische Kriegsführung gestanden. Im April 1945 hatte ihn auch die US-amerikanische Militärregierung für Deutschland auf ihre Schwarze Liste gesetzt.
Nach verschiedenen Zwischenstationen in Franken reiste Paul Lincke 1946 weiter nach Hahnenklee im niedersächsischen Oberharz. Zu dieser Reise hatte ihm ein US-amerikanischer General verholfen, der seinen „Glow worm“ kannte – jenen Evergreen, der Linckes Weltruhm 1902 begründet hatte. Seine Heimatstadt Berlin, die nun von den Alliierten besetzt war, sah Lincke nicht wieder. Am 3. September 1946 starb er während eines Krankenhaus-Aufenthalts in Clausthal-Zellerfeld infolge einer Gallenblasen-Entzündung – einen Tag, bevor die von ihm ersehnte Zuzugsgenehmigung nach Berlin eintraf. 
Das Grab von Paul Lincke in Hahnenklee-Bockswiese bei Goslar (Aufnahme von 1977)
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Rolf Goetze
Denkmal für Paul Lincke am Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal in Kreuzberg (Aufnahme von 1974). Später wurde es in die Oranienstraße versetzt, nahe dem früheren Wohnhaus des Komponisten.
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Rolf Goetze
Als echter Berliner, der die Lebensart der Stadt mit Witz und Humor verkörperte, bewahrte sich Paul Lincke trotz aller Popularität stets seine Einfachheit, wie ein Musikkritiker um 1910 schrieb: „Ein bißchen hübsch angezogen, ein Fünfpfennigskat, ein solider Schweinebraten bei Muttern, na, und die süßen, kleinen Mägdelein nicht zu vergessen: Das sind bis auf den heutigen Tag so seine Vergnügungen. Darum hat ihn auch jeder gern. Und man nennt ihn zärtlich: ‚Paulchen.‘ Paulchen: Sagt das nicht alles?“

Vielleicht nicht, denn zu Paul Linckes Lebensgeschichte gehört auch, dass er sich „manchmal von den regierenden Herren allzusehr feiern“ ließ, wie die Berliner Zeitung wenige Tage nach seinem Tod in einem Nachruf schrieb.
Weiterführende Literatur

Jan Kutscher
Paul Lincke. Sein Leben in Bildern und Dokumenten.

Schott Music GmbH & Co. KG
ISBN 978-3-7957-1084-2

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