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Nussknacker, 1. Drittel 19. Jahrhundert
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Michael Setzpfandt

Weihnachten im Biedermeier

Wussten Sie, dass Weihnachten, wie man es noch immer in vielen Teilen der Bevölkerung feiert, erst in der Biedermeier-Zeit entstanden ist? Ein Blick in die Anfänge.

von Dr. Jan Mende

Zunächst begingen nur die Bürgerlichen die Weihnachtsfeiertage als ein Fest, zu dem die ganze Familie zusammenkam. Rasch übernahmen aber auch Menschen aus anderen Gesellschaftsschichten diesen Brauch. Das war nicht ungewöhnlich, denn allgemein galten der Wertehorizont und auch die Lebensweise des Bürgertums als modern und auch für andere als nachahmenswert. Im Laufe der Jahrzehnte wurde Weihnachten daher ein Familienfest für christlich geprägte Bürger:innen quer durch alle Schichten.

Weihnachtsmarkt in der Breiten Straße. Aquarell von Leopold Müller, 1826
© Stadtmuseum Berlin

Christmarkt und Weihnachtsausstellungen

Ab Mitte Dezember und bis in den Januar hinein zeigten viele Berliner Geschäfte hübsch dekorierte Weihnachtsausstellungen und Miniaturlandschaften. Aus Zuckerwerk, Salzteig oder Gips gefertigte Arrangements stellten antike Szenen, berühmte Bauwerke oder auch aktuelle Ereignisse dar, Schlachten beispielsweise. Christliche Themen spielten dagegen kaum eine Rolle. Im eigens eingerichteten Diorama des Berliner Hoftheatermalers Karl Wilhelm Gropius (1793–1870) konnte man sich sogar in exotische Weltgegenden versetzen lassen, in 3D mit mechanisch bewegten Figuren, Lichteffekten und Musikbegleitung. Künstler, wie der berühmte Architekt Karl Friedrich Schinkel (1781–1841), lieferten die „perspektivisch-optischen“ Bildvorlagen für solche Events.                                

In der Breiten Straße, gleich neben dem Schloss und nicht weit entfernt vom Knoblauchhaus, gab es einen imposanten Christmarkt. Er galt schon um 1770 mit seinen über einhundert Verkaufsbuden als Berliner Attraktion. Die Läden wurden am Abend von unzähligen Lampen erleuchtet. Das machte Eindruck: Für gewöhnlich war es nachts stockduster in den Straßen Berlins. Für viele Berlinerinnen und Berliner war der Christmarkt ein Ereignis. Hier gab es Zucker- und Marzipangebäck, dekorative Obstnachbildungen aus Wachs, Kupferstiche, Pelzwaren, Winterschuhe, Körbe, Drechslerarbeiten, Küchengerät und natürlich auch allen möglichen Krimskrams. Kinder aus armen Familien boten selbstgebastelte Watteschäfchen an oder auch „Waldteufel“ – kleine, an einer Schnur befestigte Büchsen, die in Rotation versetzt, einen schrillen Heulton von sich gaben. 

Vom „tausendfachen Spielzeug aus Holz in allen Größen gebildet“, schwärmte einmal der Schriftsteller Ludwig Tieck (1773–1853), von Puppen und Spielzeugfiguren, „Männer und Frauen, Hanswürste und Priester, Könige und Bettler, Schlitten und Kutschen, Mädchen […], Pferde mit Klingeln, ganzer Hausrat, oder Jäger mit Hirschen […]“.

Empfindsamkeit und Romantik

Ursprünglich war Weihnachten ein religiöses Fest mit gut besuchten Gottesdiensten am Heiligabend und am ersten Feiertag. Gegen 1790 aber änderte sich das, denn die Festtage wurden nun mehr und mehr zum Anlass, mit der Familie und engen Freunden zusammenzukommen und sich gegenseitig zu beschenken. Im Zeitalter der Empfindsamkeit und der beginnenden Romantik war persönliche Nähe ungemein wichtig und die gemeinschaftliche Geselligkeit in den eigenen vier geschmackvoll eingerichteten Wänden genoss große Wertschätzung, nicht nur zu Weihnachten. Aber auch, wenn es für uns heute so aussieht: Von einem Rückzug ins Private konnte damals keine Rede sein, denn so, wie sich die Menschen im alltäglichen Leben in Vereinen und Salons für die Stadtgemeinschaft engagierten, so waren zu Weihnachten eben auch Freund:innen, Geschäftspartner:innen und selbst weitläufige Verwandte willkommen.

Berliner Bräuche

Auch, wenn einiges auf noch ältere Traditionen zurückgeht, so haben sich doch die meisten heutigen Weihnachtsbräuche erst vor etwa 200 Jahren herausgebildet. Der Weihnachtsmann ist dagegen ein Spätstarter: Erst ab 1850 kam er in Mode. Bis dahin hatte offiziell das noch – auf Martin Luther zurückgehende – Christkind die Geschenke ausgeteilt. Die Übergabe der Geschenke fand in Berlin eigentlich erst am 25. Dezember statt. Gegen 1830 verlegten die Berliner dann die Bescherung auf den Heiligabend. Der erste Feiertag schloss den Kirchgang und das gemeinschaftliche Mittagessen ein. Was das Essen betrifft, ging es ähnlich zu wie heute: Es gab Gänsebraten oder Fisch, vor allem Karpfen, aber auch Kaviar und Austern. Am Nachmittag folgte dann Naschwerk, also Stollen, Pfefferkuchen, Königsberger Marzipan, Nougat, Berliner Mohnpielen (süße Mohnklöße) oder auch der sehr beliebte Baumkuchen – übrigens Alexander von Humboldts (1769–1859) Lieblingsgebäck.

Die Bescherung

Wie aber lief die Bescherung ab? Nicht viel anders als heute, und auch das lange Warten auf das große Ereignis gehörte damals wie heute einfach dazu. Warten konnte zu einer richtigen Tortur werden, so wie für jene beiden Kinder in E. T. A. Hoffmanns (1776–1822) Erzählung „Nussknacker und Mauskönig“ von 1816: „In einem Winkel des Hinterstübchens zusammengekauert, saßen Fritz und Marie, die tiefe Abenddämmerung war eingebrochen, und es wurde ihnen recht schaurig zumute, als man, wie es gewöhnlich an dem Tage geschah, kein Licht hereinbrachte. (…) Es war ganz finster geworden. Fritz und Marie, fest aneinandergerückt, wagten kein Wort mehr zu reden, es war ihnen, als rausche es mit linden Flügeln um sie her und als ließe sich eine ganz ferne, aber sehr herrliche Musik vernehmen.“ Das Ganze aber nimmt selbstverständlich ein glückliches Ende: Mit Glöckchenklang und hellem Kerzenschein öffnen sich schließlich die Türen des Weihnachtszimmers – und dann kannte die Freude keine Grenzen.

Mitunter ging diesem herbeigesehnten Moment noch eine richtige Zeremonie voraus. In der Familie des Berliner Tonwaren-Fabrikanten Tobias Feilner (1773-1839) versammelte sich der ganze Hausstand – die Familie samt der Dienerschaft –  im sogenannten Grünen Zimmer, wo als erstes die Großeltern und deren Geschwister beschenkt wurden. Im darauffolgenden Dunkelblauen Zimmer erhielten die Eltern ihre Geschenke und erst dann, im Rosa Saal, wo die Leuchterpyramide stand, waren die Enkelkinder dran.
Rekonstruiertes Weihnachtsarrangement mit Lichterpyramide, Museum Knoblauchhaus 2019
© Stadtmuseum Berlin I Foto: Michael Setzpfandt

Wer keinen eigenen Nachwuchs hatte, lieh sich kurzerhand Kinder aus dem Waisenhaus oder aus armen Familien aus: So bestellten der Landschaftsmaler August Wilhelm Ahlborn (1796–1857) und seine Frau Therese zu Weihnachten 1836 „22 arme Kinder zu sich und schmückten ihnen mit aller Liebe einen prächtigen Weihnachtsbaum. Er war groß, bis an die Decke; die Zweige und Äste trugen zahlreiche Lichter, Spielsachen, Eßwaaren und auf Tischen umher lagen nützliche Sache für Schule und Haus, für all’ die Kinder des verschiedensten Alters.“ (aus: W. Sander: Leben des Malers Wilhelm Ahlborn dargestellt nach hinterlassenen Tagebüchern und Briefen des Künstlers, Lüneburg 1892.)

Pyramide, Lichterbaum und die Eisenbahn

Weihnachten war damals an besondere Dekorations-Traditionen geknüpft. Oft wurden die Haus- und Wohnungseingänge und auch die Treppenhäuser festlich mit Tannenzweigen, Papiergirlanden und bunten Bändern geschmückt. Im Wohnzimmer stand ein aus Lattenwerk gezimmerter Kerzenständer oder eine bunt dekoriert und mit Kerzen bestückte Weihnachtspyramide, die damals noch keine Drehflügel besaß. Eine derartige Pyramide konnte über einen Meter hoch sein; sie bestand aus einem Holzgestell, das von Tannenzweigen und farbigen Papierstreifen umwunden war. Nach heutigen Maßstäben war das eine nachhaltige Lösung, denn die Pyramide konnte Jahr für Jahr immer wieder genutzt werden.

Kurz nach 1800 kamen Weihnachtsbäume mit Kerzen in Mode, genauso, wie man es heute noch kennt. Fichten- und Kiefernbäume verkörperten ursprünglich mit ihren frischgrünen Nadeln das Lebensprinzip der Schöpfung Gottes. Weihnachtsbäume schmückte man mit buntem Flitterwerk, vergoldeten Nüssen und Äpfeln, Lebkuchen, Süßigkeiten und Papierbasteleien. Aber auch das Schmücken des Baumes mit exotischen oder gar antiken Motiven war üblich. Am Dreikönigstag (6. Januar), der das Ende der Weihnachtszeit markiert, durften die Kinder den Christbaum plündern.

Weihnachtsbäume konnten sich zumeist nur die wohlhabenden Berliner Familien leisten, denn vor allem der Transport der Bäume war teuer. Mit den ersten Eisenbahnen in den 1840er Jahren änderte sich das. Zu Tausenden kamen nun Christbäume aus dem Harz und aus der Lausitz in die Stadt und selbst ärmere Familien konnten sich nun einen Weihnachtsbaum leisten.

Weihnachtsfest im Neo-Biedermeier?

Das Weihnachtsfest ist heute ein Fest für Jedermann, es ist ein Fest der Innigkeit und der Familie – und ein hochkommerzielles Event. Das war auch vor 200 Jahren schon so, auch wenn man damals eher praktische Dinge verschenkte. In der Zeit des Biedermeier liegen die Anfänge der modernen Konsumgesellschaft.

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