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Sabine Herrmann, Noli me tangere, Bleistift, Pigmente, Acrylbindemittel auf Papier, 2021
© Stadtmuseum Berlin | Foto: Michael Setzpfandt

Noli me tangere

Dritte Variation zur Auferstehung im Museum Nikolaikirche

von Albrecht Henkys

Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte „Auferstehung Christi“ in der Kraut-Kapelle des Museums Nikolaikirche war vom 5. Oktober bis 28. November 2021 in einer Interpretation von Sabine Herrmann zu sehen.

Kunst in der Kirche

Das Bild war der dritte Teil einer von Juni 2021 bis Juni 2023 andauernden Serie von Variationen zum Thema Auferstehung. Die Bilder wurden nacheinander präsentiert von Künstler:innen.

Zu den biblischen Geschichten zur Auferstehung gehört die Begegnung des Erlösers mit den Frauen. Als Maria Magdalena in der Erzählung des Evangelisten Johannes am Morgen des Ostertages das Grab von Jesus leer vorfindet, wendet sie sich an einen Mann in der Nähe. In ihm erkennt sie den Totgeglaubten erst, als er sie beim Namen nennt. Maria Magdalena will Jesus umarmen, doch er weist sie mit den Worten „noli me tangere“ (berühre mich nicht) ab. Interessant sind die unterschiedlichen historischen Übersetzungen und Deutungen dieser Erzählung. Alle spielen auf die Frage nach der wirklichen Anwesenheit des auferstandenen Jesus Christus an. Auch der Maler des zerstörten barocken Wandbildes hatte den Widerspruch von dessen anwesender und zugleich abwesender Körperlichkeit angedeutet, indem er ihn über dem Boden schweben ließ.

Sabine Herrmann vor „noli me tangere“
© Klaus Killisch, VG Bildkunst
Das christliche Erlösungsversprechen wird von Sabine Herrmann im Sinne des Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu einem zeitgemäßen Entwurf spiritueller Existenz umgedeutet. Sie ersetzt eine Abbildung des „Unbegreiflichen“ durch die in Licht und Farbe aufscheinenden Worte „noli me tangere“. Auf diese Weise nähert sie sich der Fehlstelle im historischen Raumkonzept an.

Ihr Malprozess ist eine wiederkehrende Beschäftigung mit historischen Maltechniken: selbstangerührte Pigmente und eine besondere Schichttechnik, die sich auf großen Papierbahnen ausbreitet. Mit Vertreiberpinsel, Schwamm und Bürste und gelegentlich sogar nur mit den Händen werden die gelösten Farb-Pigmente aufgebracht und in das Büttenpapier eingetragen. Die Bilder gewinnen dadurch eine atmende Oberfläche. Im Zentrum dieser Technik steht die intensive Auseinandersetzung mit Farbklängen. Die Malerei lässt sich somit als vielschichtiger Erinnerungsvorgang lesen.
Über die Künstlerin

Zwischenwelten aus Erleben, Sehen und darin wahrgenommene malerische Ereignisse legt Sabine Herrmann in ihren teils monumentalen Bildern offen. Ihre Seherfahrungen überführt die Malerin in abstrakte Farbräume, die sich mit großzügigen Pinselbahnen lasierend erschließen. Die Künstlerin ist in Berlin aufgewachsen, studierte u.a. von 1981 bis 1986 an der Kunsthochschule Berlin, Weißensee und hat nicht nur deutschlandweit, auch in Polen, Schweden, Brasilien, Frankreich, Japan und in den USA ausgestellt. Sie ist eine der bekannten Vertreterinnen der großflächigen abstrakten Malerei und ist mit ihren Werken in mehreren Museen Berlins präsent: z.B. im Museum Hamburger Bahnhof/Nationalgalerie Berlin, in der Ausstellung der Sammlung A Collection for the 21st Century.

Der „Kunstraum Kraut“

In diesem Projekt geht es darum, sich dem vom preußischen Hofbildhauer Georg Glume (1679–1765) entworfenen Grabdenkmal künstlerisch anzunähern und sich aus zeitgenössischer Sicht mit einer historischen Fehlstelle auseinanderzusetzen. Dabei geht es nicht darum, diese zu rekonstruieren, sondern zu kommentieren und eine Raumsituation zu erarbeiten, die das Thema des verlorenen Bildes in der Kapelle Kraut, die Auferstehung Christi, im Blickwinkel von heute interpretiert.
Unbekannter Künstler, Auferstehung, Kraut-Kapelle, entstanden 1725
© Archiv Landesdenkmalamt Berlin

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