Flugblatt „SOS:SOS:SOS: Vorsicht vor Betrügerein!“, anonym, Berlin, 2019
© Stadtmuseum Berlin

Anonymes Flugblatt (2019)

OBJEKT DES MONATS JULI 2020

Die Alltäglichkeit von Vorurteilen und pauschalen Herabwürdigungen dokumentiert ein anonymes Flugblatt, das 2019 im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg verteilt wurde.

von Matthias Hahn


Verdächtigungen und Unterstellungen sind in Sozialen Netzwerken an der Tagesordnung. Unter dem Schutzmantel vermeintlicher Anonymität werden im digitalen Raum Dinge geäußert, die im persönlichen Miteinander so oftmals sicher nicht geäußert werden würden. Dass ein Flugblatt in einer Klarsichthülle hinter die Scheibenwischer von Autos geklemmt wird, ist daher bemerkenswert.

Offensichtlich maß die Verfasserin oder der Verfasser dem Text eine besondere Bedeutung bei. Denn es schien ihr oder ihm notwendig zu sein, die so bezeichneten „Dummen Gutmenschen“ vor den Gefahren durch „Rumänische Mafia-Clans“, „Flüchtlinge“ und „Ausländer“ zu warnen.

Ausgrenzung und Herabwürdigung

Bei dem umfangreichen Text handelt es sich um eine Schmähschrift, die gängigen Argumentationsweisen aus dem politischen Raum folgt. Ausgehend von einer scheinbaren Objektivität und unter Berufung auf höhere Instanzen („Polizeiberichte“, „Zeitungen“, „Fernsehen“) werden einzelnen Bevölkerungsgruppen bestimmte Verhaltensweisen zugeschrieben.

Während diese Bevölkerungsgruppen „betteln, betrügen, stehlen“ oder „alles von unserem Sozial-Staat“ auf „Kosten des Steuerzahlers“ bekämen, gingen „unsere Leute, die Flaschen sammeln gehen bzw. Obdachlosenzeitschriften verkaufen“, leer aus. Mit dieser Argumentation und den verwendeten Stereotypen, die sich verbreiteter Vorurteile bedienen, richtet sich der Text an Menschen, die bereit sind, einfache Erklärungsmuster unkritisch zu akzeptieren.

Vermeintliche Warnung

Angebliches Ziel ist eine Warnung, tatsächlich zielt das Flugblatt jedoch auf eine Spaltung der Gesellschaft in „wir“ und „die“. Darüber hinaus behauptet die Verfasserin oder der Verfasser einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen „Christen“ und „Moslems“, und dies unter Berufung auf die Bibel. Gegen Ende des Textes schließlich gibt er bzw. sie sich parteipolitisch als Gegnerin oder Gegner von „Bündnis 90 / Die Grünen“ zu erkennen, deren migrationsfreundliche Haltung er oder sie als bedrohlich empfindet.

Bemerkenswert ist an der Schmähschriften außerdem der Nachsatz in Form einer „Rechtsmittelbelehrung“, die trotz des geäußerten Wahrheitsanspruchs und der Berufung auf die Meinungsfreiheit ein gewisses Unbehagen der Verfasserin bzw. das Verfassers angesichts der geäußerten Thesen erkennen lässt.

Redaktionelle Bearbeitung: Heiko Noack

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