Collage aus grafischen Arbeiten von Christoph Meckel (teils Ausschnitt)
© Stadtmuseum Berlin

Neuerwerbungen aus Christoph Meckels Nachlass

Das Stadtmuseum Berlin hat ein umfangreiches Konvolut von Zeichnungen, druckgrafischen Blättern und Buch-Publikationen aus dem Nachlass des Berliner Künstlers erworben.

von Andreas Teltow

Ende 2024 konnte das Stadtmuseum Berlin ein umfangreiches Konvolut mit grafischen Arbeiten und Publikationen des Berliner Zeichners, Grafikers und Schriftstellers Christoph Meckel (1935–2020) erwerben. Möglich wurde diese Erwerbung aus dem Nachlass  des Künstlers zum Teil durch Haushaltsmittel des Museums und zum anderen Teil durch eine großzügige Schenkung. Auf diese Weise gelangten insgesamt 53 Zeichnungen, 110 druckgrafische Blätter sowie 41 Buchveröffentlichungen in die Grafische Sammlung und in die Bibliothek des Stadtmuseums Berlin. Bisher waren in dessen Sammlungen keine Arbeiten von Christoph Meckel vorhanden. Mit diesem Zugewinn ist das Stadtmuseum Berlin in der Lage, eine wichtige Berliner Künstlerpersönlichkeit zu würdigen. Aufgrund der kulturgeschichtlichen und künstlerischen Qualität des Konvoluts ist es nun außerdem möglich, verschiedene stadtgeschichtliche Aspekte vertiefend darzustellen und das Sammlungsprofil weiter zu schärfen. Was macht nun das Besondere an diesem Bestand aus? Warum ist er für das Stadtmuseum Berlin so interessant? 

Christoph Meckel in Berlin, im Gespräch mit den Schriftstellern Rolf Haufs (Mitte) und Michael Krüger (rechts), Anfang der 1960er Jahre.
© & Foto: Nachlass Christoph Meckel

Der Künstler Christoph Meckel

Christoph Meckel war eine wichtige Künstlerpersönlichkeit, deren Werk zu einem großen Teil in Berlin entstanden ist. Hier war Meckel mit zahlreichen Künstler:innen, Schriftsteller:innen und Verleger:innen befreundet und vernetzt, hier kulminierten politische, soziale und kulturelle Prozesse, die sein Schaffen maßgeblich beeinflussten und prägten. Meckel hat als Schriftsteller zahlreiche Werke veröffentlicht, von denen einige nach wie vor bekannt und populär sind, wie der 1973 erschienene Roman „Bockshorn“ oder die Liebesgeschichte „Licht“ von 1978.

Daneben hatte er einen völlig gleichwertigen zweiten „Hauptberuf“: den des Zeichners und Grafikers. Beide Seiten existierten weitgehend unabhängig voneinander, es bestanden allerdings Verflechtungen. Bis zu seinem Lebensende zeichnete Meckel tausende Motive, darunter Illustrationen für eigene und Veröffentlichungen anderer Schriftsteller:innen, Bilder in Briefen sowie thematisch eigenständige Arbeiten. 
Parallel dazu schuf der Künstler von den späten 1950er Jahren bis 2005 rund 2.000 druckgrafische Werke. Er praktizierte Kunst auch als Handwerk, indem er beispielsweise seine Radierungen bis zu Beginn der 1970er Jahre selbst druckte. Mit wachsendem Erfolg beauftragte er dann die Berliner Kupferdruckerei Willi Jesse damit. In dem 2011 erschienenen zweibändigen Werkverzeichnis fasste er etwa 1.500 Drucke (druckgrafische Folgen, Diptychen, Triptychen und Einzelmotive) thematisch unter dem Titel „Die Weltkomödie“ zusammen. So hatte Meckel zunächst zwölf Zyklen bezeichnet, die er schon als junger Mann begonnen und bis 1993 fortgesetzt hatte.

In Ihnen führt der Künstler seine Protagonist:innen – darunter die immer wieder auftauchenden Kunstfiguren Bobosch, Moël und Clarisse – durch Leben und Welt, Zeit und Raum. Dabei handelt es sich um Radierungen, Kaltnadelarbeiten und Aquatinten, aber auch um Holzschnitte und Lithografien. „Die Weltkomödie“ ist der Schlüssel zum Verständnis des künstlerischen Gesamtwerks Christoph Meckels. Das Werkverzeichnis bildete auch die entscheidende Auswahl-Grundlage für die Erwerbung durch das Stadtmuseum Berlin. 
Christoph Meckel mit dem Holzschnitt „Bobosch mit Maske und Messer“ in seiner Wohnung in der Brünnhildestraße in Berlin-Friedenau, um 1961.
© & Foto: Nachlass Christoph Meckel

Das grafische Werk und Berlin

Das künstlerische Werk lässt sich nicht ohne weiteres einem charakteristischen Kunstkanon oder einer ausgewiesenen Stilrichtung zuweisen. Es ist vielschichtig und von zahlreichen Einflüssen geprägt, die in einem jahrzehntelangen Prozess zu einem einzigartigen Ganzen von hoher künstlerischer Qualität verschmolzen. Dies wird vor allem in seinem grafischen Werk deutlich. Es ist von einem poetischen, fantasievollen, mitunter expressiven und abstrahierten Realismus geprägt und verweist auf verschiedene Vorbilder. Zu nennen sind hier vor allem Werke klassischer Künstlerpersönlichkeiten wie Hieronymus Bosch, Antoine Watteau, William Hogarth und Francisco de Goya. Meckel schätzte deren künstlerische Kraft und Fantasie, ihr scheinbares Aufbegehren innerhalb damaliger gesellschaftlicher Normen. Dies manifestierte sich vor allem in neuen kompositorischen Sichtweisen und ungewöhnlichen Bildinhalten. Ihn faszinierten die rätselhaften, surreal anmutenden und grotesken Elemente derer „verkehrten Welt“. In Jacques Callot und anderen schätzte er zudem Meisterschaft und Innovationen in den grafischen Künsten, insbesondere der Radierung. Auf diesem Gebiet entwickelte sich Meckel zu einem der bedeutendsten „Kunst-Handwerker“ des 20. Jahrhunderts. Das belegt auch der im Nachlass erhaltene, fast vollständige Bestand an Druckplatten aus Kupfer und Zink für seine Radierungen, Aquatinten und Kaltnadel-Arbeiten.

Eine weitere Inspirationsquelle für den Künstler waren die Werke der klassischen Moderne aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, wie etwa von Marc Chagall, Pablo Picasso und Joan Miró. Auch der sozialkritische expressive Realismus in Deutschland prägte und verband ihn mit Künstlern wie George Grosz, Otto Dix, Max Beckmann, aber auch mit Ernst Barlach.

Längst war die Großstadt Motor und Mittelpunkt, Entstehungs- und Austragungsort für politische, soziale und kulturelle Prozesse geworden. Vor diesem Hintergrund sowie mit den traumatischen Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit wurde das Thema „Stadt“ zu einem wesentlichen Teil in Meckels Werk. Er transportierte viele Ideen seiner künstlerischen Vorbilder in eine charakteristische Bildsprache, die von seinen Erfahrungen in seiner Heimatstadt Berlin und andernorts geschärft wurde.Häufig kritisch, niemals ideologisch voreingenommen, schildert er auf poetische, fantasievolle Weise – oftmals in Allegorien – Leben und Sterben, Gemeinsinn und Gewalt, Masse und Vereinsamung im Universum Großstadt.

Wie ein Brennglas dieser Erfahrungen kann der 1971 entstandene Zyklus „O Babylon“ gesehen werden, den das Stadtmuseum Berlin 2024 angekauft hat. Die 50 Radierungen mit Darstellungsgrößen ungefähr im DIN-A4-Format tragen Titel wie „Genossen“, „Käfig“, „Parade“, „Striptease“, „Der Penner“, „Souterrain“, „Fremdenführung“ oder „Der Müllhaufen“. Beispielhaft für den Zyklus steht das Blatt „Abschaffung“. Ein von einer aktionistischen Menschenmasse bewegtes, geradezu „durchgeschütteltes“ Haus, aus dessen oberem Fenster eine (rote?) Fahne flattert, symbolisiert gesellschaftliche Umbrüche (Abb.1). In „Aufzüge“ fahren Menschen beziehungs- und teilnahmslos in einem Paternoster aneinander vorbei, oft in grotesken Verrenkungen (Abb.2). Und schließlich steht „Die Maske“ als überdimensioniertes Symbol für Anonymität, Vereinsamung und soziale Entfremdung in der großstädtischen Massengesellschaft (Abb.3).

Abb. 1-3

Auch wenn Meckel Berlin nicht ausdrücklich benennt, sind die Darstellungen vom Westteil der Stadt motiviert – der seinerzeit erschüttert war von Studentenunruhen, aber auch anderen politischen und sozialen Spannungen. „O Babylon“ stellt in seinem weitgefächerten inhaltlichen Stadtbezug und seiner künstlerischen Bildsprache ein herausragendes Kunstobjekt dar, dessen Wert nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Er reiht sich ein in die großen, von Berlin angeregten Grafik-Zyklen der 1920er Jahre von George Grosz („Die Räuber“, „Im Schatten“) oder Max Beckmann („Berliner Reise“).

Bestandteile der Erwerbung

Die Erwerbung der hier vorgestellten Kunstwerke wird durch eine umfangreiche Schenkung flankiert. Dazu gehören weitere druckgrafische Arbeiten (Radierungen), die das Thema Stadt und Gesellschaft thematisieren. Dazu zählen unter anderem die Triptychen „Die Wartenden“ (1962), „Party“ (1969), „Demonstration“ (1969), „Schutthalde“ (1972), „Potemkin City“ (1973) (Abb.4), die Einzelblätter „Stadthimmel“ (1959), „Soldaten! Soldaten!“ (1960), „Für Nelly Sachs“ (1961), „Babylon-City“ (1970), „How are you“ (1972) sowie die aus 8 Lithografien bestehende Folge „You’re welcome“ (1969).

Abb. 4

Die Radierungen des Triptychons „Potemkin City“ von 1973 verweisen auf die durch Mauern und Kulissen symbolisierte Scheinwelt, durch die die Realität in der Stadt, in Staat und Gesellschaft „verstellt“ wird.

Ergänzt wird die Schenkung durch alle 28 Radierungen Christoph Meckels zu Bertolt Brechts 1926 veröffentlichter Gedichtsammlung „Hauspostille“. Sie erschienen 1966 als Illustrationen in der Ausgabe der Büchergilde Gutenberg (Frankfurt am Main) (Abb.5).

Abb. 5

Christoph Meckel: „Die Ballade von der Hanna Cash“, Blatt 19 aus der Folge von Radierungen zu Bertolt Brechts „Hauspostille“, 1966 (Radierung). Meckel setzt der Protagonistin Hanna, die in schwierigen sozialen Verhältnissen selbstbewusst ihr Schicksal besteht, ein künstlerisches Denkmal.
© Stadtmuseum Berlin

Christoph Meckels zeichnerisches Werk steht formal außerhalb seiner Drucke der „Weltkomödie“. Es reflektiert auf beispielhafte Weisedie Orientierungen innerhalb seiner künstlerischen Existenz und deren Hinterfragung. Die für die Sammlung des Stadtmuseums Berlin ausgewählten Arbeiten beinhalten farbige Zeichnungen, in denen sich ein breites Spektrum von fantasievollen Darstellungen zeigt – von realistischen bis hin zu abstrakten Kompositionen. Die farbige Zeichnung „Maschinenkopf“ von März 1978 thematisiert zum Beispiel das ambivalente Verhältnis von Mensch und Maschine (Abb.6). Das 2007 entstandene Blatt „Berlin“ wirkt wie eine Collage aus floralen und technischen Motiven (Abb.7).

Abb. 6 und 7

In den vier zwischen 1977 und 2012 entstandenen Bild-Textmappen „Sommer in der Stadt“, „Ende eines Winters“, „summer in the city“ und „Die Kälte in Berlin“ (Abb.9) widmet sich Meckel den Jahreszeiten, deren Wetterphänomenen in Berlin und den daraus resultierenden menschlichen Befindlichkeiten. Schrift und Zeichnung gehen eine künstlerische Einheit ein. Beispielhaft dafür steht das Blatt 2 der Mappe „Sommer in der Stadt“ von 1977 (Abb.8).

Abb. 8 und 9

An Meckels biografische Wurzeln und seine jahrzehntelange Verbundenheit mit Berlin knüpft die Bildfolge der von ihm so genannten, witzig-spontanen doodle“-Darstellungen sowie die Serie „Nachrichten aus dem Berliner Skiklub der Junioren ‚Berlin Total‘“ (Abb.11) an (beide 1992). In den karikaturhaften Motiven mit der Anmutung von Kinderzeichnungen, kommentiert im Berliner Dialekt, klingt Meckels Nähe zu den „Berliner Malerpoeten“ der 1960er und 70er Jahre an, wie Günter Bruno Fuchs, Günter Grass, Aldona Gustas, Kurt Mühlenhaupt, Robert Wolfgang Schnell oder Wolfdietrich Schnurre (Abb.10).

Abb. 10 und 11

Ausblick

Das Meckel-Konvolut am Stadtmuseum Berlin wurde bzw. wird für den ständigen Verbleib, die Bewahrung in den Sammlungen und die Erschließung für die interessierte Öffentlichkeit bearbeitet. Dazu gehört die Inventarisierung der Blätter auf Grundlage wissenschaftlicher Recherche, ihre Digitalisierung, Online-Stellung und damit ihre Nutzbarkeit durch Dritte. Die nach konservatorischen Standards erfolgte Lagerung im Depot garantiert perspektivisch Ausleihen für Ausstellungen und Vorlagen der Originale für Interessierte.

Weitere Forschungsthemen ergeben sich aus der inhaltlichen Vielfalt des Bestands. Sie betreffen zum Beispiel Verflechtungen mit der literarischen Seite in Meckels Werk, seine Netzwerke in der Berliner Künstler:innen-, Schriftsteller:innen- und Verlagsszene sowie die Reflexion Berliner Stadtgeschichte in seinem künstlerischen und literarischen Werk. Dafür ist die Zusammenarbeit mit anderen Museen und Sammlungen mit Meckel-Beständen unabdingbar, nicht zuletzt im Hinblick auf den sehr umfangreichen Nachlass. Und schließlich sind die Grafiken und Zeichnungen Meckels herausragende künstlerische Dokumente. Sie können das Ziel weiterer kunsthistorischer Forschungen sein und ebenso Anregungen für die Ausbildung an und die Zusammenarbeit mit den Berliner Kunst-Universitäten bieten.

In seiner von Berlin inspirierten inhaltlichen Komplexität, Vielfalt und künstlerischen Ausdruckskraft verdient Meckels Werk, aus biografischen Erfahrungen schöpfend und in die Zukunft weisend, eine aufschlussreiche Wiederentdeckung für die heutige Zeit, die sicher mit Überraschungen verbunden sein wird.

Mehr aus den Sammlungen