Christoph Meckel

Zu seinem 90. Geburtstag erinnern wir an den Berliner Grafiker und Schriftsteller (1935-2020).

von Dr. Michael Bischoff
Christoph Meckel mit dem Holzschnitt „Bobosch mit Maske und Messer“ in seiner Wohnung in der Brünnhildestraße in Berlin-Friedenau, um 1961.
© & Foto: Nachlass Christoph Meckel
Der Künstler über sich selbst:
„Ich war in Europa und in Berlin zu Haus.“
Christoph Meckel

Die Lebensstationen des Künstlers Christoph Meckel sind vielfältig: Geboren in Berlin-Dahlem, verbrachte er seine Kindheit bis 1939 in Schöneiche östlich von Berlin. Er lebte in Paris und der umgebenden Region Île de France, in Berlin, in München, in Ötlingen im Markgräflerland, in der Region Drôme (Frankreich), in der Toskana (Italien) und zuletzt wieder in Freiburg.

Luftaufnahme der zerstörten Freiburger Innenstadt, 1944
Unknown authorUnknown author (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Luftbild_Freiburg_1944.jpg), „Luftbild Freiburg 1944“, Nachbearbeitung von Stadtmuseum Berlin, https://creativecommons.org/publicdomain/zero/1.0/legalcode
Die Kriegsjahre ab 1939 erlebte Christoph Meckel mit seiner Mutter und seinen jüngeren Brüdern in Freiburg im Breisgau. Nach der Bombardierung der Stadt am 27. November 1944 zogen sie nach Erfurt zu den Eltern der Mutter. Die stark zerstörten Städte Freiburg und Erfurt, das Kriegsende, die Befreiung Erfurts durch US-Streitkräfte und die Übernahme durch die Rote Armee prägten den damals 10-Jährigen. In „Russische Zone. Erinnerungen an den Nachkrieg“ beschreibt Meckel die Amerikaner als „Militärs mit lässiger Gangart und freundlichen Köpfen“, die Kaugummi unter den Kindern verteilten. Die sowjetische Besatzung ab 3. Juli 1945 empfand das Kind dagegen als bedrückende „Nebeldecke, die alles bedeckte und alles durchdrang“. Mangel an Lebensnotwendigem und willkürliche Durchsuchungen waren an der Tagesordnung.

Nachdem der Vater 1947 aus französischer Kriegsgefangenschaft freigekommen war, floh die Mutter mit ihrem Sohn Christoph aus der sowjetischen Besatzungszone nach Freiburg. An der dortigen Akademie der Bildenden Künste begann Meckel 1954 ein Studium der Malerei und Grafik. Er lernte bei Rudolf Dischinger, einem Vertreter der Neuen Sachlichkeit, der sich nach 1945 der abstrakten Malerei zugewandt hatte. 1956 wechselte Meckel an die Akademie der Bildenden Künste in München. Dort nahm er kaum am Lehrbetrieb teil, erlernte aber in der dortigen Druckwerkstatt das Radieren. Im selben Jahr begann er als freier Schriftsteller und Grafiker zu arbeiten.
 
Bereits als 20-Jähriger hatte er 1955 seine ersten Gedichte publiziert. 1956 erschien in München das Heft „Tarnkappe“ mit seinen eigenen Gedichten und Grafiken als erste selbständige Veröffentlichung. Ausgedehnte Reisen führten Meckel durch Europa, Afrika und Amerika.

Christoph Meckel in Berlin, im Gespräch mit den Schriftstellern Rolf Haufs (Mitte) und Michael Krüger (rechts), Anfang der 1960er Jahre.
© & Foto: Nachlass Christoph Meckel

Radierungen der „Weltkomödie“ und schriftstellerische Arbeiten

Nach seinen ersten Kindheitsjahren in Berlin kam Meckel im November 1957 zurück in die Stadt, die er später stets als seinen Lebensmittelpunkt bezeichnen sollte. Der 22-Jährige wohnte zunächst zur Untermiete in Steglitz, ab 1958 in Friedenau und ab 1976 in Wilmersdorf in der Kulmbacher Straße. In Berlin baute sich Meckel ein Netzwerk von befreundeten Künstler:innen auf, darunter Robert Wolfgang Schnell, Jeanne Mammen, Günter Anlauf, Günter Bruno Fuchs, Roger Loewig, Natascha Ungeheuer und Gisela Breitling.
Christoph Meckel im Literarischen Colloquium Berlin, 1985.
© & Foto: Nachlass Christoph Meckel
In Berlin nahm auch sein künstlerisches Großprojekt „Weltkomödie“ Gestalt an. Bis 2005 entstanden etwa 2000 Radierungen, die die existenziellen Grundfragen des Menschen zum Thema haben. Sie erzählen von Leidenschaften und Liebe, von Krieg und Tod, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Meckels Figuren, wie zum Beispiel Moël, Bobosch, Rubim, Jemel oder Clarisse, führen durch Raum und Zeit, durch das menschliche Dasein mit all seinen Schönheiten und Abgründen.
 
In seinem „Bericht zur Entstehung einer Weltkomödie“ (1985) verweist Meckel auf die Zeitgeschichte als „harten Kern“ der Bilder: Sie spiegeln künstlerisch, „was im Zeitraum ihrer Entstehung geschah: die Veränderung der Welt und ihre Katastrophen, die Kriege […], die Berliner Mauer und die Studentenrevolte, die ökologischen, technischen Situationen, die Condition Humaine und den Zeichner selbst“. Die „Weltkomödie“ besteht aus 12 grafischen Zyklen, aus kleineren Serien sowie mehrteiligen Bildwerken aus je zwei (Diptychen) oder drei Blättern (Triptychen). Zu den großen Zyklen gehören zum Beispiel „Moël“, „Der Turm“, „Das Meer“, „Der Strom“, „Limbo“ oder der 2024 vom Stadtmuseum Berlin erworbene Zyklus „O Babylon!“.
Ebenso wie Meckels Grafiken in der bildenden Kunst haben seine schriftstellerischen Arbeiten ihren eigenständigen Platz in der Literatur. In Selbstzeugnissen unterscheidet er diese beiden Arten künstlerischen Ausdrucks. Meckel selbst sieht im Grafiker und im Schriftsteller sogar unterschiedliche Personen: In seinem „Bericht“ schreibt Meckel, dieser handele „vom Radierer der Weltkomödie. […] Der Schriftsteller hat eine andere Biografie“. Der Radierer Meckel beschreibt den Schriftsteller als seinen „literarischen Freund und Gegenspieler“, räumt aber ein, dass er den Namen mit ihm teile.
 
Mit seinen frühen Gedichten hat sich Meckel einen festen Platz in der Nachkriegsliteratur gesichert. Seine Anfänge als Autor sind geprägt vom Schock des Krieges, der ihn als Kind mit grausamen Bildern konfrontiert hatte, etwa beim Anblick von Leichen im zerbombten Freiburg und Erfurt. Weithin bekannt wurde er mit Gedichten und Erzählungen. Dazu gehören „Bockshorn“ (1973), eine Geschichte über zwei entwurzelte Jugendliche auf der Suche nach ihrem Platz in einer rauen modernen Welt, und „Licht“ (1978), eine Liebesgeschichte.
Christoph Meckel nach einer Lesung in der Buchhandlung „Büchergilde Gutenberg“ am Wittenbergplatz, 2000.
© & Foto: Nachlass Christoph Meckel

Im autobiografischen Prosastück „Suchbild“ (1980) verarbeitet er eine Seite seines Vaters – des 1969 verstorbenen Schriftstellers Eberhard Meckel –, die ihm lange verborgen geblieben war. 1976 wurde er bei der Lektüre der Kriegstagebücher seines Vaters mit dessen soldatischem Selbstverständnis, Ehrbegriff und Antisemitismus konfrontiert, die selbst durch erlebte Kriegsverbrechen nicht erschüttert worden waren.
 
Mit anderen Autor:innen war Christoph Meckel freundschaftlich verbunden, darunter Peter Huchel, Günter Eich, Peter Weiss, Johannes Bobrowski, Günter Grass, Sarah Kirsch und Michael Krüger.

Christoph Meckel in der Drôme, Südfrankreich, 1998.
© & Foto: Gila Funke-Meckel

Christoph Meckel und Berlin

Berlin ist der geografische Fixpunkt im Leben des Weltbürgers Christoph Meckel – der Ort, dem er prägende Eindrücke, wichtige Begegnungen und künstlerische Inspirationen verdankt: „Ich war in Europa und in Berlin zu Haus“, bekannte er in seinem „Bericht zur Entstehung einer Weltkomödie“. Die Stadt faszinierte ihn als Schauplatz historischer Brüche – vom Ende des Nationalsozialismus über Wiederaufbau, Teilung der Stadt und 1968er-Revolte bis hin zur Wiedervereinigung. Die Großstadt ist ein Leitmotiv, das Meckels bildkünstlerisches Schaffen durchzieht – als Ausgangspunkt politischer Veränderungen, als Ort menschlicher Abgründe und Leidenschaften.

Christoph Meckel, 2019.
© & Foto: Dirk Skiba
Während Berlin in seinen Bildern und literarischen Texten künstlerisch verarbeitet wird, überliefern Meckels autobiografische Aufzeichnungen den sachlichen Blick eines Chronisten. Seine frühen Schilderungen der immer noch stark kriegszerstörten Stadt zeugen von präziser Beobachtung: Berlin bot sich dar als „Ruinengelände in Dschungeln“ mit „verbrannten Fassaden“. „Die Berliner Stadtteile waren verschmutzt und grau, noch immer voll Schutt“.
 
In den Tagen um die Öffnung der Berliner Mauer entstanden ausführliche Notizen. Sie verbinden die nüchterne Beobachtung des Jubels und der Begeisterung in der Nacht des 9. Novembers 1989 mit einem düsteren Resümee der jahrzehntelangen Teilung der Stadt: „Sehr hart und böse kam mir die Schwarzgalle hoch, zurückdenkend an die Hälfte meines Lebens – Mauer, und was das hieß: die Lähmungen, Tristessen, das Graue und Furchtbare darin selbst für mich, die Freundschaften und die Liebe […].“
Christoph Meckel starb am 29. Januar 2020 in Freiburg. Seine letzte Ruhestätte fand er in Berlin, auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße in Mitte. Auf seinem Grab erinnert ein Findling an den kosmopolitischen Künstler. Er trägt dessen Namenszug und seine Totenmaske in Bronze, die von seinem Freund, dem Bildhauer Franz Gutmann, geschaffen wurde. Am Grab steht eine bronzene Vogelfigur der Keramikerin Verena Hann-Metzkes und des Kunstgießers Wilfried Hann aus Wegendorf bei Berlin. Sie wurde einer Radierung Meckels aus dem Jahr 2005 entlehnt und verweist auf seine von magischen Wesen bevölkerten Bildwelten. Am 12. Juni 2025 wäre Christoph Meckel 90 Jahre alt geworden.
Christoph Meckels Grabmal auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof an der Chausseestraße in Berlin-Mitte, 2024.
© & Foto: Gila Funke-Meckel

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