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Die alte Küche im Königlichen Schloss
Aus: L. Kurth, Illustriertes Kochbuch für bürgerliche Haushaltungen, wie auch für die feine Küche, Holzstich, Leipzig 1887 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Oliver Ziebe

Der wichtigste Arbeitgeber Berlins

Das Berliner Schloss ist mit einer langen und wechselvolle Geschichte von Regierenden verbunden. Doch wer herrschte hier eigentlich? Ein Blick in den Arbeitsalltag des Schloss-Personals zur Zeit von König Friedrich Wilhelm I.

von Dr. Jan Mende

Ganze 80 Lampen erhellen Anfang der 1730er Jahre allabendlich das Innere des Berliner Schlosses. Zwischen 22 und 24 Uhr dreht der Kastellan Rudolph Wilhelm Eversmann eine letzte Kontrollrunde, um vielleicht noch offenstehende Fenster zu schließen und darauf zu achten, dass von den Kamin- und Herdfeuern keine Brandgefahr ausgeht. Auch die Nachtwächter hat er jetzt „ohnvermuthet [zu] visitiren“, ob diese tatsächlich „gehörig Achtung geben“. Um Mitternacht aber – oder eben dann, wenn die königlichen Majestäten zu Bett gegangen sind und keines Lichts mehr bedürfen – wird es finster auf den Gängen und in den Treppenhäusern. Das Schloss schläft.

Auszug aus dem Beitrag

„Fein sauber und proper‘“: Das barocke Schloss und sein Dienstpersonal
stammt aus dem Katalog der Sonderausstellung „Schloss. Stadt. Berlin“ (2016).

Nur wenige Stunden später aber, morgens gegen vier Uhr, werden die Öllampen in den Gängen und auf den Treppen wieder entzündet, die Gehilfen des damit beauftragten Hofapothekers Stanislaus Rücker haben sich darum zu kümmern. Denn früh beginnt das Alltagsleben für die im Schloss übernachtenden oder aus der Stadt hereinkommenden Bediensteten.

In der Hof-Küche ist die Herdglut anzufachen, Wasser bereit zu stellen, Brennholz zu hacken, zudem treffen erste Lieferungen frischer Lebensmittel ein. Das Schloss, es erwacht von unten herauf, zuerst an den Portalen und auf dem Hof, dann in den Gängen und Wirtschaftsräumen, es erwacht jeden Morgen mit eilfertigen Schritten auf den Treppen, mit Topfgeklapper und rumpelnden Karren, derweil oben, auf dem Dach, sich erster Rauch aus den Essen windet. Und der König? Von all dem bemerkt Friedrich Wilhelm I. erst einmal nichts. Gegen 6 Uhr, immerhin, aber beginnt auch sein Tag – mit einem kleinen Frühstück, das man ihm serviert.

Daniel Chodowiecki: Weibliche Bediente, darunter eine Köchin und eine Abwäscherin (in der unteren Reihe).
Aus: Lichtenberg’s Vorschlag zu einem Orbis pictus, Göttingisches Magazin der Wissenschaften und Literatur, Jg. 4, 1. St. Radierung, 1778/79 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Oliver Ziebe
Trotz aller sich aufdrängenden Parallelen: Das Arbeitsleben im Berliner Schloss hatte nur sehr entfernt Ähnlichkeit mit dem disziplinierten und streng terminierten Werkalltag, sagen wir, eines modernen Industrieunternehmens – zu individuell waren die einzelnen Arbeitsabläufe, was Zeit und Ort betrifft, und zu wenig voneinander abhängig. Aber vielleicht ist ein Bienenstock, wimmelnd von emsigen Arbeitsbienen, die sich um ihre Königin und deren Nachkommen scharen, das treffendere Bild für ein Königsschloss in der Zeit des Absolutismus?

Ein wenig schon, zumindest, wenn man sich im Zentrum einen König denkt, der auch tatsächlich anwesend ist. Dann nämlich nahm zumindest die höfische Gesellschaft – gestaffelt nach strengen Hierarchien und rigiden Zugangsberechtigungen – den Monarchen tatsächlich in ihre Mitte.

Aber der König war eben doch nicht der einzige Nutzer seines Schlosses. Hier wurde schnöde Verwaltungsarbeit geleistet und der Staatsschatz gehütet, hier gab es eine Druckerei, mehrere Kassen, Kanzleien und Behörden – das ganze 18. Jahrhundert hindurch war der Hof der wichtigste Arbeitgeber Berlins! Grob geschätzt mögen um 1720, die Anwesenheit des Hofstaats vorausgesetzt, täglich um die 1.000 Personen das Schloss bevölkert haben, eher mehr. Viele Personen, die gar nicht zum eigentlichen Hofstaat gehörten, gingen hier ihrer täglichen Arbeit nach, wie der Kastellan oder die dem Schlosshauptmann unterstellte Wachmannschaft, ebenso die Putzkräfte und fest angestellten Handwerker.

Oder jener uns unbekannt bleibende Dienstmann, der für das 1720 errichtete Hebewerk verantwortlich war, das das Spreewasser in die dafür vorgesehenen Reservoirs über dem Eosanderportal pumpte. Als multifunktionales Gebäude beherbergte das Schloss ja auch kulturelle und religiöse Einrichtungen, wie den allerdings kaum genutzten Theatersaal oder die Schlosskapelle. Hinzu kamen gar merkantile Unternehmen, wie die Apotheke und die schon erwähnte Druckerei.

Acht Wachmänner für ein Schloss

Beinahe obligatorisch gehörte zu einem Herrschersitz jener Zeit eine Bibliothek, ein Antiquitäten- und Medaillenkabinett sowie eine Naturalien- und Kunstkammer, 1760 betreut von fünf Mitarbeitern, darunter Bibliothekar Friedrich Wilhelm Stosch. Nicht zuletzt muss der in Fässern deponierte Staatsschatz erwähnt werden, den der Soldatenkönig in dem „Tresor“ genannten Erdgeschossräumen unterhalb des Weißen Saales und an der Lustgartenfront anlegen ließ. Dieses bedeutende Gold- und Silberdepot lag als Hochsicherheitstrakt gleich neben der Haupt-Schloss-Wache.

Die Zahl der Schlosswächter betrug 1664 lediglich sechs und 1710 acht Männer.

Diese hatten dafür zu sorgen, „das Bettelpack vom Schloße ab[zu]halten“ und dem Holzdiebstahl vom Hof vorzubeugen. Hinzu kam die prächtig gekleidete Schweizer Garde Friedrichs I., doch ließ sein Sohn, der Soldatenkönig, die 100 Mann starke Truppe dann wieder abschaffen. Letzterer gab denn auch der Schlosswache den Charakter einer regulären Militäreinheit. Ein Postenzettel vom 22. März 1736 zählt 140 Soldaten auf, davon 16 Nachtposten.

Da das Schloss zentraler Verwaltungssitz der preußischen Merkantil-, Fiskal- und Militäradministrationen war, ging hier tagsüber eine Vielzahl von Beamten und Angestellten ein und aus. Zwar wurde die eigentliche Machtpolitik anderswo betrieben, so, wenn das Kabinett Friedrichs II. gewöhnlich in Potsdam tagte. Dafür trieb man in Berlin die innere Landesverwaltung und den Ausbau des Staates voran. Das Appellationsgericht hatte im Schloss seinen Sitz, die Geheime Kriegskanzlei, das General-Kommissariat und die General-Kriegskasse, die Oberrechenkammer und auch die Hofkammer, die die landesherrlichen Domänen zu verwalten hatte. Im Schloss saß zudem das 1722/23 gegründete General-Ober-Finanz-, Kriegs- und Domänendirektorium, das für die Zentralisierung und Professionalisierung der staatlichen Verwaltung von immenser Bedeutung werden sollte.

Dieses kurz Generaldirektorium genannte Führungsgremium belegte zahlreiche Räumlichkeiten im Erdgeschoss und in den darüber liegenden Etagen des „Verwaltungstraktes“, gelegen zwischen Portal III und dem Schlossplatz. Dort befanden sich später noch das Forstdepartement, in dessen Büros dann der Staatsrat zu tagen pflegte, aber auch die Registraturen und das Verwaltungsarchiv. Im Quergebäude zwischen den beiden großen Höfen saß hingegen die dem Generaldirektorium untergeordnete kurmärkische Kriegs- und Domänenkammer. Der Publikumsverkehr war tagsüber in diesen Gebäudetrakten recht hoch, was der Königshof zum Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend als störend empfand.

Fassade des Schlosses in Berlin
Andreas Schlüter, Kupferstich, 1703 © Stadtmuseum Berlin
Der abwesende Monarch

Das Arbeitsvolk, das das Schloss bevölkerte, war also mitnichten nur damit beschäftigt, den an der Hierarchiespitze stehenden Monarchen und dessen Familie zu umsorgen. Ohnehin blieb die persönliche Anwesenheit des Herrschers in Berlin ja viele Jahrzehnte hindurch die Ausnahme. Die ostentative Distanzierung von der hiesigen Residenz galt als Regel. Schon der erste König auf dem Preußenthron, Friedrich I., der den Berliner Schlossbau durch Andreas Schlüter so vehement vorantreiben ließ, vernachlässigte ja keineswegs die brandenburgische Residenzlandschaft mit seinen Schlössern und „Lusthäusern“ in Charlottenburg, Oranienburg, Köpenick, Caputh und anderswo. Sein Nachfolger Friedrich Wilhelm I. unterhielt im Berliner Schloss zunächst nur seine kleine Wohnung aus der Kronprinzenzeit, bevorzugte als Wohnsitz aber Potsdam und, im Herbst zur Jagdsaison, Wusterhausen.

Friedrich II. hatte seinen Lebensmittelpunkt ebenfalls in Potsdam; Regierungsentscheidungen fielen in dessen Arbeitszimmern im Schloss Sanssouci und im Neuen Palais. Im Berliner Schloss residierte er gewöhnlich nur in den vier Wochen zwischen Weihnachten und dem 24. Januar, seinem Geburtstag. Freilich suchte man in Berlin wohl pro forma die Residenzfunktion zeremoniell aufrecht zu erhalten, indem man beispielsweise die „Königliche Tafel“ während der Abwesenheit des Monarchen aufrechterhielt.

Da aber mit dem Souverän auch dessen Hofstaat nicht mehr präsent war, verlor das Berliner Schloss mehr und mehr seinen Residenzcharakter und damit seine gesellschaftliche Anziehungskraft für die einheimische Adelsgesellschaft. Zumindest in den Gebäudetrakten, die König und Hofstaat vorbehalten waren, ruhte bei deren Abwesenheit das Leben. Viele Räume verwaisten regelrecht.

Die Küche arbeitete lediglich auf „Sparflamme“ für einen Teil der Schlossbeschäftigten und für die Angehörigen des Hofstaats, die sich gerade in Berlin aufhielten.

Zwar hatte der Kastellan, dem die „Scheuerfrauen“ unterstanden, auch jetzt dafür zu sorgen, „daß die Cammern, Treppen, Gänge und übrigen Gemächer rein, sauber, und die Fenster allemahl zu gemacht gehalten werden“. Er hatte den Tapezierer zu erinnern, dass dieser die Möbel in den Gemächern und in der Möbelkammer „fleißig ausklopfe und rein mache“. Nun hatte er auch Zeit und Muße, die Zimmer- und Möbelinventare zu aktualisieren und anstehende Wartungs- und Reparaturarbeiten zu beauftragen. Zusammen mit dem wachhabenden Offizier durfte der Kastellan neugierige Fremde, die das Schloss besichtigen wollten, durch die königlichen Prunkräume führen, wobei er darauf zu achten hatte, „Niemanden aber an denen Königlichen Betten, Stühlen und dergleichen zu nahe tretten laßen“ oder ihnen gar „Königl. Pretiosa“ in die Hand zu geben. […]

Wirtschaftsbetrieb Schloss

Das Schloss war durch Lieferant:innen wie Pommer und Hof-Handwerker wie den Hof-Tapezierer Adolph Crevelt und den Hof-Seidensticker Henning Brand eng mit den Wirtschaftsstrukturen der bürgerlichen Stadtgemeinde verknüpft. Ganze Gewerbezweige, allen voran die Produktion von Luxusgegenständen, blieben von den Aufträgen des Hofes abhängig oder wurden sogar erst durch dessen Nachfrage in Berlin etabliert. […] Das Schloss hing aber auch auf anderen Wegen mit der Stadtgemeinde zusammen, so, wenn die wohlhabenderen Bürger:innen Zimmer und ganze Wohnungen zur Verfügung stellten, wenn bei großen Staatsbesuchen der Platz im Schloss nicht ausreichte. Zudem waren schon seit dem 16. Jahrhundert die im Schloss untergebrachten Staatsbehörden auf qualifiziertes Fachpersonal aus der Bürgerschaft angewiesen.


Oft gingen Beamte und Minister den Amtsgeschäften jedoch in ihren Privatunterkünften außerhalb des Schlosses nach, also in den Privathäusern der Stadt. So hatte Andreas Schlüter sein Bauplanungsbüro zu Hause eingerichtet, in einem angemieteten Wohnhaus in der Brüderstraße. Und selbst die Dienstkräfte des Hofstaates wohnten ja meist nicht selbst im Schloss, sondern hatten ihr Wohnquartier in der Stadt, wo sie in die vielfältigen Sozialbeziehungen ihres urbanen Umfeldes eingebunden waren.

Tipp!

Die Actionbound-Tour „Unter den Linden“ führt von der historischen Stadtmitte über den Schlossplatz und weiter entlang der Straße Unter den Linden. Die verschiedenen Zeitschichten Berlins werden hier besonders deutlich. Ziel ist das Brandenburger Tor.

Auszug

Den vollständigen Beitrag ‚fein sauber und proper‘ Das barocke Schloss und sein Dienstpersonal finden Sie im Katalog der gleichnamigen Sonderausstellung „Schloss. Stadt. Berlin“ (2016).

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